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Diese gewöhnliche Welt

von Laurie

Kapitel #2

Die ersten drei Tage verbringt Leonard hauptsächlich mit dem Versuch, sich nicht verrückt zu machen.

Besonders erfolgreich ist er damit nicht. So sehr er sich bemüht, an etwas anderes zu denken, irgendetwas, ständig landen seine Gedanken bei Jim. Jim war so anders in letzter Zeit, mehr wie ein Schatten seiner selbst, und obwohl das nicht überraschend ist, hat es Leonard an den Rand der Verzweiflung getrieben, ihn so zu sehen.

Vielleicht ist es gut, dass Jim auf eigene Faust losgezogen ist; vielleicht hilft ihm das dabei, die Ereignisse der letzten Wochen zu verarbeiten.

(Vielleicht hat Leonard einen riesigen Fehler begangen. Vielleicht gibt es Dinge, in die man sich nicht einmischen sollte. Du sollst nicht Gott spielen.
Er verbietet es sich, daran zu denken.)

Leonard weiß, dass er zu überfürsorglich ist, dass er Jim auf die Nerven gegangen ist und es auch jetzt noch mit seinen regelmäßigen Nachrichten tut. Geht es dir gut? Wo bist du? Ich muss nur wissen, dass du in Ordnung bist. Jim antwortet nicht und obwohl Leonard seinen Wunsch nach Distanz respektieren muss, ändert das nichts daran, dass sein Puls sich jedes Mal beschleunigt, wenn er sein PADD prüft und feststellt, dass keine neuen Nachrichten auf ihn warten. Ich melde mich, hat Jim behauptet. Wann, hat er nicht geschrieben, und das macht es so schwer zu ertragen. Nach den zwei Wochen, in denen Jim im Koma lag, hat Leonard genug vom Warten.

Jim ist eine der wichtigsten Personen in seinem Leben. Wenn Leonard einen Fehler begangen hat, wenn er diese Freundschaft ruiniert hat –

Wenn sich herausstellt, dass er kein guter Freund war, dass er nicht alles gegeben hat, um Jim zu helfen, dass er wieder einmal zu sehr darauf fokussiert war, Arzt zu sein –

Weil die Alternative darin besteht, sich mit einem Vorrat an billigem Alkohol in einem dunkeln Zimmer zu verkriechen und weil das ein Punkt ist, den Leonard nicht noch einmal erreichen will, versucht er, sich wie ein verantwortungsvoller Erwachsener zu verhalten. Kümmer dich um dich selbst. Er isst und duscht regelmäßig, er geht nach draußen, er redet mit Spock und Nyota, er schreibt Joanna, und er schafft es, nicht jede Nacht pausenlos von Albträumen heimgesucht zu werden. Alles in allem, findet er, macht er seine Sache gar nicht mal so schlecht.

Es wäre trotzdem einfacher, wenn er sich durch Arbeit ablenken könnte – richtige Arbeit, die darin besteht, sich um Patienten zu kümmern, und nicht nur darin, den Grundriss einer Abhandlung über Khan und sein Superblut zu erstellen, die nie das Licht der Welt erblicken wird, weil sie es nicht darf.

„Wir können Ihre Suspendierung leider noch nicht aufheben“, teilt Boyce ihm am vierten Tag mit.

Leonard hat nicht wirklich etwas anderes erwartet, doch kurz fühlt es sich dennoch so an, als schöben sich die Wände in Boyce‘ Büro näher zusammen. Er atmet tief durch, zwingt sich, seine Hände nicht zu Fäusten zu ballen, und beschränkt sich darauf, Boyce gedanklich für das offene Mitgefühl in seinem Blick zu verfluchen. „Sir, ich –“

„Doktor McCoy.“ Kopfschüttelnd lehnt Boyce sich nach hinten und verzieht prompt das Gesicht, als sein Bürostuhl mit einem ungesunden Quietschen reagiert. Leonard hatte bisher nicht viel mit ihm zu tun und obwohl Boyce nicht nur ein einflussreiches Vorstandsmitglied im Medizinischen Korps der Sternenflotte ist, sondern auch als exzellenter Arzt gilt, ist er froh darüber. Es ist schwer genug, jetzt diesem wissenden Blick nicht auszuweichen. „Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir Sie unter den gegebenen Umständen nicht mehr mit Patienten betrauen können. Bis die ganze Sache entschieden ist, halten Sie sich bitte zurück. Sie machen es nicht besser, wenn Sie uns ständig damit nerven. Außerdem kann Ihnen eine Auszeit sicher nicht schaden.“

Er spricht so ruhig, als ginge es um die Speisepläne in der Mensa und nicht um etwas so Weitreichendes wie Leonards gesamte Zukunft. Tatsächlich hat Leonard die Vorstandschaft des Medizinischen Korps schon aufgewühlter erlebt, als es um die Speisepläne ging, wenn er so darüber nachdenkt.

„Hören Sie, wenn es nach mir geht, behalten Sie Ihre Lizenz, und ich persönlich würde Sie auch grundsätzlich nicht vor Gericht stellen, sondern es bei einer Abmahnung belassen. Aber ich habe das nicht zu entscheiden. Bis dahin ...“ Boyce zuckt mit den Schultern, gedanklich offensichtlich schon beim nächsten Thema. „Versuchen Sie, sich abzulenken. Suchen Sie sich ein Hobby, besuchen Sie Ihre Familie, aber lungern Sie nicht ständig hier herum. Es wird schon.“

Leonard beißt die Zähne zusammen, nickt und stürmt aus Boyce‘ Büro, bevor er etwas erwidern kann, das seine Lage garantiert nicht verbessern wird.

Er hat gewusst, dass seine Handlungen weitreichende Folgen für ihn haben werden, noch bevor er Jim die erste Injektion gesetzt hat. Du sollst nicht Gott spielen. Er hat einen der wichtigsten Grundsätze seiner Profession verletzt und er würde es wieder tun, um Jim zu retten; aber das heißt nicht, dass die Vorstellung, wieder einmal um seine Lizenz und diesmal vielleicht sogar auch um seine Freiheit kämpfen zu müssen, durch diese Gewissheit leichter zu ertragen ist. Wenn er kein Arzt mehr ist, bleibt nur noch Leonard, und er ist nicht immer sehr gut darin, nur Leonard zu sein.

Trotzdem. Er würde es wieder tun. Er würde es wieder und wieder und wieder tun und diese Erkenntnis erschreckt ihn mehr, als er erwartet hat, weil sie mit einer anderen Erkenntnis einhergeht. Er ist zu abhängig von Jim. Er hat für ihn Regeln verletzt, hat ihn auf die Enterprise geschmuggelt, hat ihn von den Toten zurückgeholt, ist bereit, für Jim alles stehen und liegen zu lassen, fühlt sich jetzt, da er Jim nicht täglich sieht, ständig so, als stehe er kurz vor einem Nervenzusammenbruch, und über all diesen unschönen Fakten schwebt die Erinnerung an seine Exfrau. Du bist zu kontrollsüchtig, hat sie ihm einmal an den Kopf geworfen, als es schon zu spät war, um ihre Ehe zu retten, und wie in den meisten ihrer Beleidigungen steckt darin ein Fünkchen Wahrheit. Er ist zu kontrollsüchtig, er ist zu abhängig. Manchmal weiß er nicht einmal mehr, wer er war, bevor Jim Kirk in sein Leben trat, und das ... das ist beängstigend.

Natürlich weiß er, dass all die negativen Gedanken aus den Ereignissen der letzten Wochen heraus geboren wurden und dass die Sache mit ein wenig Abstand ganz anders aussehen wird. Er hat sein Leben auf die Reihe bekommen, bevor er Jim Kirk kannte, und er würde es auch in Zukunft schaffen; Fakt ist nur, dass er nicht will. Er will seinen besten Freund nicht verlieren und die Erkenntnis, dass genau das passieren könnte, wenn er nicht lockerlässt, hilft ihm nicht dabei, besser mit der Situation umzugehen.

Das Einzige, was er tun kann, ist Warten, und dummerweise war er darin noch nie gut.

~°~



Sogar Spock bemerkt, dass er reizbarer als gewöhnlich ist.

„Doktor, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, glaube ich nicht, dass Sie die Situation angemessen meistern“, stellt er fest, Leonard über mehrere Teller mit selbstgekochtem Sushi hinweg betrachtend.

Sie befinden sich in Spocks Esszimmer; offiziell, um Dienstliches zu besprechen, inoffiziell eher, weil Nyota der Meinung ist, Leonard müsse mal wieder etwas anderes als Fertigprodukte essen, und ihn dazu genötigt hat, Spock einen Besuch abzustatten. Es kann ihm nur guttun, hat sie behauptet und Leonard weiß genau, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist. Die vollständige Aussage müsste eher Es kann euch beiden nur guttun heißen.

Hätte Leonard mehr Energie, würde er Spock auslachen. So beschränkt er sich darauf, alten Traditionen zuliebe die Augen zu verdrehen. „Kein Witz, Sherlock.“

Es Spock gegenüber zuzugeben, ist einfacher, als Leonard jemals angenommen hätte. Spock ist durch dieselbe Hölle wie er gegangen und ausnahmsweise liegt keine Spur von vulkanischer Distanz in seinen Augen, als er Leonard mustert. Die letzten Wochen – die endlosen Stunden, in denen sie gemeinsam neben Jims Krankenbett saßen und hofften, dass er wieder aufwachen würde – haben etwas zwischen ihnen verändert und Leonard kann das nicht bereuen, weil es sich unerklärlich richtig anfühlt.

„Sie haben getan, was Sie konnten. Sich jetzt noch Vorwürfe zu machen, ist unlogisch.“

„Und wenn das, was ich getan hab, nicht genug war?“, fragt Leonard.

Kurz erweckt Spock den Anschein, als halte er mit aller Macht einen Seufzer zurück. Sie haben dieses Thema wieder und wieder durchgekaut, haben sämtliche Schuldzuweisungen und sämtliche Fragen nach dem was wäre, wenn erörtert und dennoch kann Leonard nicht anders, als immer wieder darüber nachzudenken. Es hilft ihm dabei, nicht so viel an die Zukunft zu denken und an die Tatsache, dass irgendwo ein Haufen Bürokraten darüber entscheidet, ob er weiterhin als Arzt arbeiten darf – und daran, dass Jim sich seit vier Tagen nicht gemeldet hat.

„Leonard“, sagt Spock und greift dabei auf ein beängstigend unerschöpfliches Reservoir an Geduld zu, „die Vergangenheit lässt sich nicht ohne Weiteres ändern. So schwer es ist, sollten wir versuchen, uns auf die Gegenwart und die Zukunft zu konzentrieren. Auch der Captain tut das, und wir müssen das respektieren und darauf vertrauen, dass er die für sich richtigen Entscheidungen treffen wird.“

„Gott, ich weiß das, es ist nur ...“ Unglücklich starrt Leonard auf seinen Teller. Noch nie hatte er weniger Appetit auf Hoso-Maki. „Ich kann ihn einfach nicht verlieren.“

„Der Captain benötigt Zeit. Sobald er die Ereignisse der letzten Wochen verarbeitet hat, wird er sich höchstwahrscheinlich wieder bei Ihnen melden, und dann können Sie Ungeklärtes klären und aussagekräftigere Pläne für die Zukunft erstellen.“

Spock spricht sanfter mit ihm, als er es vor der Sache mit Khan je getan hat, und das macht alles noch unerträglicher. Sarkasmus wäre besser als dieser verständnisvolle, wissende Blick aus allzu menschlichen Augen.

„Ich weiß das. Aber das heißt nicht, dass es mir gefällt.“

Diesmal seufzt Spock wirklich, ein winziges Auspusten der Luft, das er vermutlich vehement bestreiten würde, sollte ihn irgendjemand darauf ansprechen. „Kann es sein, dass Sie –“, setzt er an – und dann unterbricht er sich und das ist so überraschend, dass Leonard für einen Moment all seine Probleme vergisst. Spock unterbricht sich nicht, Spock zögert nicht, Spock bringt nie etwas anderes als perfekt formulierte Sätze hervor, und falls doch, dann ist irgendetwas Weltbewegendes geschehen.

Leonard hat beinahe Angst davor, nachzufragen, weil er es nicht ertragen könnte, wenn auch Spock sich zu sehr verändert. Dass Spock kein gefühlloser Klotz ist, weiß er längst, er benötigt keine erneute Demonstration; und ihr neues gegenseitiges Verständnis ist schön und gut, aber auch weniger sicher als Distanz.

„Dass ich was?“

Spocks Themenwechsel dürfte der am wenigsten subtile in der gemeinsamen Geschichte der Menschen und Vulkanier sein. „Irrelevant, Doktor. Ich verstehe Sie. Allerdings habe ich die Vermutung, dass sich die Situation für Sie nur verschlimmert, wenn Sie hier in Ihrer Wohnung bleiben und sich Ihren Sorgen hingeben. Ein Ortswechsel ist vielleicht genau das, was Sie benötigen. Nyota und ich sind für uns zu demselben Entschluss gekommen und werden deshalb in Kürze zu einer Reise nach Neu Vulkan aufbrechen. Wenn Sie möchten, sind Sie eingeladen, uns zu begleiten.“

Wenn Spock damit bezwecken wollte, dass Leonard den vorherigen Ausrutscher vergisst, so ist es ihm gelungen. Dass Spock und Nyota verreisen wollen, ist ihm neu, aber vermutlich ergibt es Sinn. Niemand, der noch ganz bei Trost ist, würde freiwillig in dieser Stadt bleiben, in der noch zu viele Ruinen an Khans Rachefeldzug und an Tod und Zerstörung erinnern. Dass die beiden ihn einladen, mit ihnen zu kommen, ist dagegen ... Leonard weiß nicht, was er davon halten soll, weiß nicht, wie er mit der plötzlichen Enge in seiner Brust umgehen soll.

Er braucht beschämend lange, um die Sprache wiederzufinden. „Ich ...“ Er schüttelt den Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen. „Ich will mich euch nicht aufdrängen.“

Spocks leidgeprüfte Miene bringt ihn beinahe zum Lachen. Wenigstens diese Konstante ist geblieben. „Wir würden Ihnen das Angebot nicht unterbreiten, wenn es uns nicht ernst wäre.“

„Ich weiß, Spock, und ich weiß das zu schätzen, aber ... Ich weiß nicht.“

Angesichts dieser linguistischen Ungenauigkeit blickt Spock gleich noch ein wenig leidender drein. „Denken Sie darüber nach.“

„Ich ...“ Und plötzlich entblößt sich ihm ein Gedanke, den er bislang nicht in Worte fassen konnte. Jim ist fortgegangen, um ... um sich vermutlich den Geistern seiner Vergangenheit zu stellen, Spock wird fortgehen, um vermutlich etwas Ähnliches zu tun, und Leonard ... Vielleicht sollte Leonard auch fortgehen. Spock hat recht. Hier wird er vorerst keinen Frieden finden; alles hier ist zu viel. Wenn Jim nicht da ist, gibt es nichts und niemanden, um den sich Leonard so kümmern kann, dass er darüber seine eigenen Probleme vergisst.

Leonard denkt an das, was Boyce gesagt hat, hält sich an der Sicherheit von Spocks verständnisvoller Miene fest und schluckt den Rest seines Sushis hinunter. „Ich glaub, ich hab was anderes vor.“

~°~



Hey,
ich hoffe, dir geht es gut. kannst du dich bitte bei mir melden?
Ich habe einen Vorschlag, der dich vermutlich überraschen wird. Bitte denk erst mal darüber nach, bevor du ablehnst, okay?
Ich weiß, dass es sehr spontan ist, aber es ist mir wirklich wichtig.
Len Leonard

Hey Jim,
ich hoffe, dir geht’s gut. Falls es nicht so sein sollte und falls ich irgendwie helfen kann, oder falls du einfach nur reden willst, kannst du dich jederzeit bei mir melden, das weißt du, oder?
Ich bin für eine Weile nicht in San Francisco. Aber ich bin weiterhin erreichbar, falls du mich brauchst. Ich wollte nur, dass du das weißt.
Pass auf dich auf.
Alles Liebe
Len
Bones


~°~



Jim antwortet nicht und Leonard redet sich ein, dass das in Ordnung ist. Jim geht es gut und er wird sich melden, wenn er so weit ist. Leonard wüsste es, wenn ihm etwas zugestoßen wäre, er wüsste es einfach.

Seine andere Nachricht dagegen wird fast sofort beantwortet. Leonard versucht, erleichtert zu sein, aber es will ihm nicht ganz gelingen.

~°~



Vier Jahre sind bezogen auf die Lebensspanne eines Menschen keine allzu lange Zeit. Aber sie reichen aus, um sich so weit von der Vergangenheit zu entfernen, dass es sich falsch anfühlt, wieder an Orte zurückzukehren, die aus einem alten Leben stammen.

Seit Leonard vor über vier Jahren seine Heimatstadt verlassen hat, war er nur fünfmal wieder hier; jedes Mal nur für einen kurzen Besuch, um Joanna abzuholen und sie zum Campen mitzunehmen oder zu einem Ferienhaus am Meer. Die Stadt wirklich in sich aufzunehmen und sich den Erinnerungen zu stellen, die mit jeder Straßenecke verknüpft sind, hat er dabei immer vermieden. Es war sicherer so.

Als er in Savannah aus dem Shuttle steigt, ist es später Nachmittag und obwohl Leonard erst gestern den mehr als spontanen Entschluss gefasst hat, hierherzukommen, kommt es ihm vor, als habe er eine mehrtätige Reise hinter sich. Er fühlt sich zittrig und von der Realität losgelöst, als er im Eingangsbereich des Flughafens steht, von abgehetzten Pendlern angerempelt wird und ins zu grelle Sonnenlicht blinzelt, und das hat nur bedingt damit zu tun, dass es ihm ohne Jim an seiner Seite nicht immer gelingt, seine Flugangst vollständig zurückzudrängen.

Er weiß, dass dieselbe Sonne auch in San Francisco scheint, aber hier fühlt sie sich anders an; auch die Luft schmeckt anders, und die Leute folgen einem anderen Takt. All das sorgt dafür, dass Leonard sich wie ein Fremder fühlt, wie jemand, der sich ein schlecht sitzendes Kostüm übergestreift hat und versucht, sich unrechtmäßig mitten während der Vorführung auf eine Theaterbühne zu schmuggeln.

Hier in Georgia ist alles, was mit der Sternenflotte zu tun hat, weit entfernt. Hier ist er nicht Doktor McCoy, Erster Medizinischer Offizier der USS Enterprise unter Captain James Kirk, sondern einfach nur Len McCoy, (undankbarer) Sohn von David, nichts weiter als ein Zivilist unter vielen; und er weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Vier Jahre waren lang genug, dass er sich an ein völlig anderes Leben gewöhnt hat.

Während er den Flughafen verlässt und sich ein Taxi ruft, fragt er sich, ob dieses neue Leben besser ist als sein altes. Es ist eine schwierige Frage, eine, auf die er vermutlich nie eine zufriedenstellende Antwort finden wird. Trotz allem bereut er nicht, dass er damals fortgelaufen und der Flotte beigetreten ist; dass der Kontakt zu seiner Tochter darunter gelitten und er sich so sehr von seiner Heimat entfremdet hat, bereut er dagegen sehr wohl.

Die Fahrt in das Randgebiet der Stadt verläuft ruhig und problemlos. Leonards Gedanken huschen pausenlos zwischen Jim (geht es ihm gut? wo ist er? wann wird er zurückkommen? wird er Leonard sehen wollen, wenn er zurückkommt?), seiner Vergangenheit (in diesem Café haben Jocelyn und er ihre Hochzeit geplant; auf diesem Friedhof ist David beerdigt; an dieser Kreuzung hat er jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit gewartet) und dem, was ihm bevorsteht, hin und her. Obwohl keine Ferien sind, hat Jocelyn zugesagt, dass er ein wenig Zeit mit Joanna verbringen darf, mindestens ein Wochenende, und er sucht noch immer nach dem Haken. Nach allem, was hier geschehen ist, fällt es ihm schwer, zu glauben, dass irgendetwas reibungslos ablaufen kann.

(Nach allem, was er hier getan hat, ist er sich manchmal nicht sicher, ob er so ein Glück überhaupt verdient hätte.)

Je näher sie dem alten Haus kommen, desto mehr bereut er, dass er hergekommen ist. Er hätte in San Francisco bleiben können, er hätte nicht schon wieder versuchen sollen, seine Probleme durch Weglaufen zu lösen, er –

Aber er will Joanna sehen, will es so sehr, dass ihm die Luft wegbleibt, wenn er sich ihr Gesicht vor Augen ruft. Der Drang, sie an sich zu drücken und dadurch die Ereignisse der letzten Wochen zumindest für ein paar Minuten zu vergessen, ist so stark, dass es wehtut. Er muss sich versichern, dass wenigstens seine Tochter ihm nicht entgleitet.

Das Haus hat sich kaum verändert. Die Büsche neben dem Gartentor sind größer geworden und der Sockel ist jetzt in einem dunklen Braun gestrichen, gegen das Leonard vehement sein Veto eingelegt hätte, hätte er noch ein Mitspracherecht gehabt, aber davon abgesehen könnte man fast glauben, dass Leonard das Haus erst gestern mit nichts als einem hastig gepackten Rucksack und den Kleidern, die er am Leib trug, verlassen hat, um ein neues Leben zu beginnen.

Ein paar Momente lang starrt er einfach nur ins Leere; erst als eine junge Frau, die er nicht kennt (eine neue Nachbarin?), ihm im Vorbeigehen einen misstrauischen Blick zuwirft, gibt er sich einen Ruck. Das hier ist nicht mehr sein Zuhause, aber es ist Joannas Zuhause und das muss genügen.

Darnell/McCoy verkündet das Klingelschild. Leonard blickt nur flüchtig darauf, bevor er seine Reisetasche abstellt und die Klingel betätigt. Fast sofort hört er, wie sich im Haus jemand bewegt, und bevor er sich ein letztes Mal fragen kann, ob das hier eine furchtbare Idee ist, öffnet sich die Tür.

Jocelyn blickt zu ihm auf, runzelt ein wenig die Stirn und wie immer in den letzten Jahren fühlt es sich kurz an, als habe ihm jemand in den Magen getreten. Dann lächelt sie.

„Hallo, Leonard. Komm rein.“

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