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The Darkness Within

von Mijra

Kapitel 1

- Prolog -

Dunkelheit. Die Schwärze, die ihn umgab, schien aus dem Nichts selbst zu stammen, undurchdringlich, erbarmungslos, kalt. Er spürte seinen eigenen, gleichmäßigen und tiefen Atem, der sich in den Weiten des Nichts verlor. Die Dunkelheit durchdrang ihn. Es existierte nur jene Endlosigkeit, ohne Anfang und Ende – und er in ihr.

Vorsichtig streckte er die Hand aus, nicht sicher, ob er es tatsächlich tat, oder ob es reine Einbildung war. Die Hand glitt durch die Schwerelosigkeit, lautlos und ohne Widerstand. Ein Gefühl von Panik stieg in ihm hoch. Er versuchte es niederzukämpfen, es zu verdrängen, doch die Angst wurde stärker. Er drehte sich – und sah in die gleiche dichte Schwärze wie zuvor. Sein Atem ging schneller, als sich sein Herzschlag mit jeder Sekunde beschleunigte. Verlorenheit. Er wusste nicht, wo oben oder unten war, sein ganzer Körper schien so schwebend und leicht und doch fühlte er die Schwere in seiner Brust, die ihn langsam zu erdrücken begann. Er versuchte zu schreien. Jemand musste ihn hören. Jemand musste dort draußen sein. Sekunden nachdem sein Ruf in den Tiefen der Dunkelheit verklungen war, rang er verzweifelt nach Atem. Die Schwärze wurde zunehmend dichter und der Druck auf seine Brust unerträglich. Hätte er die dafür nötige Kraft besessen, hätte er erneut nach Hilfe gerufen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Er befürchtete zu ersticken, rang krampfhaft nach Luft und strampelte nach Leibeskräften um sich. Dann begann er zu fallen. Plötzlich und ohne Vorwarnung zog es ihn tiefer und tiefer in die undurchschaubaren Abgründe unter ihm. Ein übelkeitserregendes Gefühl durchzog seinen Magen, als er hilflos und voller Panik in die Tiefe stürzte.


- Kapitel 1 -

Julian Bashir schreckte aus dem Schlaf. Sein Herz pochte noch immer schmerzhaft in seiner Brust und das Adrenalin, das durch seinen Körper schoss, genügte, um ihn innerhalb weniger Sekunden vollkommen in die Realität zurückzuholen. Keuchend sah er sich um, halb in der Erwartung, noch immer in jene undurchdringliche Schwärze der Nacht zu sehen, fasste mit einer Hand nach der Matratze, um sich abzustützen und wäre dabei beinahe aus dem Bett gekippt, als seine Hand unvermittelt ins Leere griff.

„Computer, Licht!“

Innerhalb weniger Sekunden wurde das Zwielicht der vergangenen Augenblicke aus den noch so entlegensten Winkeln des Raumes verbannt. Julian kniff instinktiv die Augen zusammen. Mit einem Stöhnen ließ er sich zurück auf die harte, cardassianische Matratze fallen und fuhr sich mit beiden Händen über das verschwitzte Gesicht. Sein Atem ging noch immer stoßweise und er hatte Mühe, seinen Verstand von der Wirklichkeit des Jetzt zu überzeugen. War alles nur ein Alptraum gewesen? Er hätte sich nicht erinnern können, wann er das letzte Mal einen derart intensiven Traum gehabt hätte. Wenn er an jene bedrückende Schwärze Sekunden zuvor zurückdachte, konnte er die gleiche Panik noch immer in jeder einzelnen Faser seines Körpers fühlen. Es kam nicht oft vor, dass er schlecht träumte, und schon gar nicht in einer derartigen Intensität.

Doch sie befanden sich im Krieg. In einem Krieg in dem es längst nicht mehr den Unterschied zwischen Gut und Böse gab, an den er zuvor noch geglaubt hatte. Es verging kein Tag ohne Verluste, kein Tag, an dem ihnen nicht die Sinnlosigkeit und Zerstörung der Feindseligkeiten, jener Irrsinn, der ihr Leben seit den letzten Monaten bestimmte, unwillkürlich klar gemacht wurde. Er fragte sich, ob es jemals wieder werden würde wie zuvor, doch er wusste, dass die Zeit Menschen veränderte, ebenso wie die Ereignisse das Herz und den Charakter der Beteiligten – seiner Kameraden – unwiderruflich prägten.

Es war der Krieg, der sie zu dem machte, was sie waren und wenn Julian daran zurückdachte, war jener Alptraum vor wenigen Augenblicken nichts weiter, als eines der vielen Nebenprodukte der monatelangen Auseinandersetzungen, ein Weg für ihn, die angesammelte Furcht und Verbitterung aus dem Unterbewusstsein in die Wirren des Traumes zu bringen.

„Computer, wie spät ist es?“

Noch während er sich vollkommend aufrichtete, schlug er die Bettdecke zur Seite, blinzelte ein paar Mal verschlafen und rieb sich den restlichen Schlaf aus den noch immer müden Augen. Er fühlte sich matt und ausgelaugt, als hätten die letzten Tage und Ereignisse ihm mehr abverlangt, als er bereit war, zuzugeben.

„Die Zeit beträgt 5 Uhr am Morgen“, ertönte die monotone, ausdruckslose Stimme des Stationscomputers.

5 Uhr? Er hatte länger geschlafen, als vermutet, obgleich es sich nicht danach anfühlte. Wenn er jedoch ehrlich zu sich selbst war, genügten selbst die wenigen nächtlichen Stunden, in denen er sich die Ruhe und Erholung gönnte, die er seinem Körper schuldig war, kaum, die verbrauchten Kräfte wieder zu vollem Potential zu sammeln. Auch er, wenngleich genetisch verbessert, war schließlich nur ein Mensch – eine Tatsache die er nur allzu oft verdrängte.

Seit der unfreiwilligen Aufdeckung seines genetisch verbesserten Hintergrundes hatte Julian versucht, eine gewisse Distanz zu jener Begebenheit vor 25 Jahren aufzubauen. Obwohl er nach der Lüftung seines Geheimnisses offen auf die Fähigkeiten zurückgreifen konnte, die er all die Jahre tief in seinem Inneren verborgen hatte, hatte er sein altes Leben zurückgewollt. Er hatte geglaubt, auch mit dem Wissen anderer über seine genetische Aufwertung, sein bisheriges Leben weiterführen zu können, doch jene Illusion war spätestens mit der Ankunft Sloans zerstört worden.

Julian atmete tief durch und versuchte, seinen Pulsschlag unter Kontrolle zu bringen.

Gott, er war doch nicht einmal sieben Jahre alt gewesen, wie konnte man ihn für etwas verantwortlich machen, auf das er selbst nicht einmal Einfluss gehabt hatte? Es war nicht seine Entscheidung gewesen. Es war die Entscheidung seiner Eltern. Und Richard Bashir war dafür ins Gefängnis gegangen. Wie mochte es seinem Vater in diesem Augenblick ergehen? Julian hatte versprochen, ihn, sofern es seine Zeit erlaubte, in jener Strafkolonie auf New Zealand zu besuchen und er hatte es wirklich ernst gemeint. Obwohl es ihm schwerfiel, seinen Eltern das zu verzeihen, was sie ihm mit ihrer Entscheidung angetan hatten, wusste er tief in seinem Inneren, dass sie es getan hatten, weil sie ihn liebten. Trotz all seines Ärgers und der Fassungslosigkeit, die er damals verspürt hatte, als er erfahren hatte, dass Dr. Zimmerman und Chief O’Brien das folgenschwere Gespräch des unechten Holo-Doktors mit Bashirs leiblichen Eltern zufällig mitbekommen hatten, trotz des Zorns, den er gegenüber denjenigen verspürt hatte, die seinem Leben schon von Kindheit an keine große Wahl gelassen hatten, hatte er letztlich einsehen müssen, dass gerade die Liebe seiner Eltern ihn zu dem gemacht hatte, was er heute war. Ein brillanter und kompetenter Arzt. Vielleicht war auch das ein Grund dafür, warum Julian nach den vielen Jahren der Spannung beschlossen hatte, seinen Eltern eine zweite Chance zu geben. Richard war für ihn ins Gefängnis gegangen, schließlich hatte er für Julians genetische Verbesserung die Verantwortung getragen, doch Julian fühlte sich schuldig, als habe er seine Eltern verraten. Er wusste, dass dem nicht so war, dass egal was auch passieren würde, sie ihn bei sich aufnehmen würden und er sicher sein konnte, in die Geborgenheit seiner Eltern zurückkehren zu können. Doch dass Gefühl der Schuld wog deswegen nicht weniger schwer.

Julian hatte in seiner Verletztheit den Ärger gegenüber seinen Eltern dazu benutzt, sich selbst zu schützen. Vor den neugierigen Blicken der anderen, vor Schuldzuweisungen, sich alles nur erkauft und erschwindelt zu haben und der Enttäuschung seiner Freunde, nicht der zu sein, für den sie ihn all die Jahre gehalten hatten. Er hatte sich in einen Kokon des Zorns zurückgezogen und alles aus unbeteiligter Ferne betrachtet. Es war schließlich nicht seine Entscheidung gewesen! Doch man hatte ihm diesen schützenden Mantel genommen. Sein eigener Vater hatte alle Schuld auf sich genommen, um seinem Sohn die Fortführung seiner Karriere zu ermöglichen. Julian hatte nicht damit gerechnet und mit einem Moment auf den anderen stand er völlig nackt und schutzlos da, vor seinem eigenen Captain und seinen eigenen Eltern. Vielleicht war jener Moment im Büro des Captains der schlimmste seines bisherigen Lebens gewesen. Man hatte ihm den Zorn genommen und zurück war nichts weiter geblieben, als jener Julian Bashir, dessen Übereifer die ganzen vergangenen Jahre über das Geheimnis seiner genetischen Verbesserung hinweggetäuscht hatte. Ein Kind, das sich zutiefst verletzt gefühlt, gegen die Ungerechtigkeit des Lebens protestiert und dabei blindlings die verletzt hatte, die es zu beschützen versuchten.

Er dachte nicht gern an jenen Zwischenfall zurück, an den Moment, da er Siskos Büro verlassen und die wissenden Blicke seiner Freunde ihn bis zum Turbolift begleitet hatten. Vielleicht wollten sie ihn trösten, ihm sagen, dass sie ihn noch immer als den mochten, der er all die Jahre hatte vorgeben müssen zu sein. Doch er hatte sie nicht ertragen. Er wusste nicht, wie lange er ihnen ausgewichen war, bis er sich stark genug gefühlt hatte, sich der Wahrheit zu stellen.

Julian hatte seinen Eltern vergeben. Er hatte sogar versucht, ein neues Verhältnis zu seinem Vater aufzubauen, hatte versprochen ihn in der Strafkolonie auf New Zealand zu besuchen, doch was ihn am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass er sein Versprechen nicht würde halten können. Über ein Jahr war seit dem Vorfall bereits vergangen und mit dem Dominionkrieg im Alpha-Quadranten würde er nicht so schnell die Gelegenheit erhalten, der Erde einen Besuch abzustatten. Wer konnte schon sagen, wie lange der Krieg ihr Leben noch bestimmen würde?

Mit einem Seufzen fuhr er sich über die vom grellen Licht schmerzenden Augen. War das der Grund, warum er in den letzten Wochen so wenig geschlafen hatte? Weil er Angst vor den Dingen hatte, die seine Träume aus dem Unterbewusstsein seines Verstandes an die Oberfläche zogen? Er wusste es nicht. Abgesehen von jenem Alptraum nur wenige Minuten zuvor, konnte er sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal geträumt hatte. Vielleicht vergaß er es auch, sobald er mit dem Öffnen der Augen in die Wirklichkeit des Jetzt trat und das Geträumte für ihn an jeglicher Bedeutung verlor.

Julian drängte den Gedanken beiseite und versuchte seinen noch immer müden Verstand auf die Dinge zu konzentrieren, die heute auf ihn warteten. In einer Stunde würde das Stations-Briefing in der Offiziersmesse stattfinden. Er konnte sich daran erinnern, wie Captain Sisko am Vortag etwas von einer Mission erzählt hatte, bei der sie die Hilfe eines Abgesandten der Sternenflotte erhalten würden, doch Genaueres hatte er zu jenem Zeitpunkt nicht aufdecken wollen, weswegen eine Lagebesprechung an diesem Morgen abgehalten werden sollte.

Dennoch wünschte er sich, einfach zurück ins Bett fallen und die Welt um sich herum vergessen zu können. Mit einem letzten Seufzen schlug er die Beine von der Matratze und fing damit an, sich anzukleiden. Die Handgriffe gingen fast automatisch. Nach nur wenigen Momenten hatte er den blauen Pyjama gegen die schwarz-blaue Uniform der Sternenflotte eingetauscht, zog die ebenfalls schwarz glänzenden Stiefel an und raffte mit einer schnellen Handbewegung das zerknitterte Bettlaken in Ordnung. Erst als er sich vor dem kleinen Spiegel des Badezimmers wiederfand, stellte er fest, dass seine Gedanken zurück zu jener Schwärze des Traumes glitten und sein Verstand noch immer nach einer Erklärung für die unnatürlich starke Angst und Beklemmung jenes Augenblickes suchte.

Julian hielt sein Gesicht unter den kalten Strahl des Wassers, wobei er daran dachte, wie er die Alpträume in seinem Prüfungsjahr auf der Akademie auf dieselbe Weise jeden Morgen nach dem Aufwachen vertrieben hatte. Es war das selbe Gefühl wie damals – nur, dass heute Morgen keine der vielen Prüfungen auf ihn warten würde. Als er den Kopf hob und sein nasses Gesicht im Spiegel erblickte, fühlte er sich besser. Sein Verstand war wach, wenn auch sein Körper noch einige Momente dazu brauchte. Ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf seine Lippen, bevor er das Gesicht an dem weichen Frottetuch neben dem Waschbecken abtrocknete. Egal wie schnell und komfortabel Schallduschen auch sein mochten, in Notsituationen wie dieser bevorzugte er noch immer die Natürlichkeit echten Wassers.

Als er durch die Tür seines Quartiers trat und in den ebenfalls hellbeleuchteten Korridor, überlegte er, was er bis zum Stations-Briefing tun sollte. Es war noch früh am Morgen, er hätte ins Quarks gehen können, dort vielleicht etwas frühstücken. Doch irgendwie fühlte er sich nicht nach Essen. Er würde das Frühstück wohl auf später verschieben.

Kurz bevor er den Turbolift betrat, zögerte er. Sollte er der OPS einen Besuch abstatten? Vielleicht war O’Brien da, oder Dax? Seufzend schüttelte er den Kopf. Sowohl O’Brien als auch Dax hatten zur Zeit keine Nachtschicht. Dax würde die letzten nächtlichen Momente mit Worf in ihrem gemeinsamen Quartier genießen und O’Brien wahrscheinlich noch immer tief und fest schlafen. Nicht jeder enthält seinem Körper so viel Schlaf wie du, dachte Julian resigniert und betrat mit einem unterdrückten Gähnen den Turbolift.

„Promenadendeck.“

Es blieb ihm immer noch die Arbeit, und von der gab es mehr als genug, um seinen Verstand den ganzen Tag über auf anderen Gedanken zu bringen.

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Captain Sisko stand mit dem Rücken zur Tür, als Commander Dax und Commander Worf als letzte der anwesenden Führungsoffiziere die Offiziersmesse betraten. Dax nickte dem Captain, der sich auf das Zischen des Schotts hin umgedreht hatte, kurz aufmunternd zu, bevor sie sich neben Kira an einer Seite des Konferenztisches niederließ. Als auch Worf seinen Platz neben Dax eingenommen hatte, räusperte sich der Captain ein letztes Mal und sah die Anwesenden mit ernster Miene an. Commander Dax, Commander Worf und Major Kira teilten sich die linke Hälfte des Tisches während Constable Odo, Chief O’Brien und Dr. Bashir auf der anderen Seite gegenüber Platz genommen hatten. Der Captain selbst stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben dem Sessel am Kopfende des Tisches und wartete bis das letzte kurze Flüstern verklungen war.

„Wie einige von Ihnen bereits gehört haben, habe ich dieses Briefing aus einem bestimmten Grund einberufen. Vor zwei Tagen habe ich neue Befehle aus dem Sternenflottenhauptquartier erhalten, wobei es um eine Aufgabe der Defiant im Alpha-Quadranten geht. Es handelt sich hierbei um eine Mission auf Atholes III, fünftem Planeten des Zenahr-Sonnensystems.“

„Aber...“, zögerte Kira einen Moment mit gerunzelter Stirn, „...ist das Zenahr-System nicht schon vor Monaten von den Cardassianern eingenommen worden?“

Sisko nickte. „Ganz recht, Major. Atholes III, sowie die restlichen acht Planeten des Sonnensystems stehen seit drei Monaten unter cardassianischer Kontrolle. Das ist ein Grund, warum Starfleet uns mit dieser Mission beauftragt hat. Vor nicht einmal einem Monat befand sich ein vulkanisches Forschungsschiff mit dem Namen T’Hekal ganz in der Nähe des Systems...“

„Offiziellen Sternenflottenberichten zufolge, wurde das Schiff als zerstört gemeldet“, warf Odo skeptisch ein, beide Arme vor der Brust verschränkt, mit dem gleichen undeutbaren Gesichtsausdruck wie gewöhnlich.

„Von den Cardassianern?“ Bashir hatte die Frage an niemanden direkt gerichtet.

Sisko nickte erneut. „Den Berichten zufolge hatte die T’Hekal kurz vor ihrer Zerstörung Feindeskontakt mit den Cardassianern. Im Allgemeinen wird angenommen, dass es zu einer Auseinandersetzung kam, bei der das Schiff vollständig vernichtet wurde, doch das Merkwürdige dabei ist, dass es weder Trümmerreste, noch eine erhöhte Strahlungsintensität an der Stelle gab, an der die T’Hekal von den Cardassianern zerstört wurde.“

„Was folglich darauf zurückschließen lässt, dass das Schiff entweder gar nicht zerstört wurde, oder aber die Caradassianer nach ihrem Überfall alle Spuren eines Vorfalles beseitigt haben“, schlussfolgerte Worf.

Kira runzelte die Stirn und sah Sisko fragend an. „Aber warum sollten sich die Cardassianer die Mühe machen, alle Spuren zu beseitigen, wenn wir uns bereits in einem Krieg befinden, noch dazu wo die T’Hekal ganz offensichtlich in feindliches Gebiet eingedrungen ist und das Kriegsrecht auf cardassianischer Seite war?“

„Die Frage ist doch wohl eher, was die T’Hekal dort überhaupt zu suchen hatte. Wenn ich mich recht erinnere, liegt das Zenahr-System unmittelbar neben dem zuvor von den Cardassianern eingenommenen Betah-System und wenn die Übernahme Zenahrs bereits drei Monate zurückliegt, dürfte es für solche Forschungsmissionen Sperrgebiet gewesen sein.“ O’Brien schüttelte verwirrt den Kopf. „Wenn die T’Hekal wirklich auf eigene Gefahr dorthin unterwegs war, hätten sie mit einem Zwischenfall rechnen müssen.“

Auf Siskos Züge stahl sich ein flüchtiges, wissendes Lächeln. „Guter Punkt, Mr. O‘Brien. Nichtsdestotrotz stehen wir nun vor einem Problem. Zwar wurde die T’Hekal offiziell als zerstört gemeldet, doch erreichte erst vor einer Woche den Geheimdienst der Sternenflotte die Nachricht von dem Überleben der Besatzung.“

„Dann wurde das Schiff nicht vernichtet?“, frage Dax erstaunt.

„So wie es aussieht, nicht, Alter Mann, zumindest den inoffiziellen Berichten zufolge.“

Odo schnaubte abfällig. „Lassen Sie mich raten: Die Sternenflotte schickt uns, die Überlebenden zu bergen?“

Der Captain, dem der Sarkasmus in Odos Stimme ebenfalls wie allen anderen nicht entgangen war, sog kurz die Luft ein und legte den Kopf schief, bevor er sich ohne ein weiteres Wort umwandte und mit einer schnellen Eingabe den Bildschirm im vorderen Teil des Raumes aktivierte. Sofort erwachte die zuvor schwarze Fläche zum Leben. Winzige, weiße Punkte erschienen über den gesamten Bildschirm verteilt, gefolgt von mehreren gelben Gitterlinien für die Positionsbestimmung und den Ortsnamen der verschiedenen Sonnensysteme.

„Das hier ist eine Sternenkarte des Zenahr-Systems und der umliegenden Systeme Betah und Hiar.“ Siskos Finger fuhr über den unteren Mittelteil der Karte, dann nach rechts oben und zurück zum linken mittleren Rand der Karte. Kurz darauf erschien ein größerer roter Punkt auf dem schwarzen Hintergrund. Er lag auf etwa halber Strecke zwischen dem Betah- und dem Zenahr-Systemmittelpunkt, jedoch ein gutes Stück näher an der Sonne von Zenahr.

Sisko deutete mit einem kurzen Fingerzeig auf den neuen Punkt. „Das hier ist die Position der T’Hekal zum Zeitpunkt ihrer angeblichen Zerstörung und das hier...“, damit wartete der Captain, bis ein weiterer, diesmal grüner Punkt aus dem Nichts erschien, bevor er darauf deutete, „...ist Atholes III.“

„Die T’Hekal befand sich damit eindeutig auf feindlichem Gebiet“, stellte Worf kühl fest.

„Was wollten die Vulkanier in einem Gebiet, das wohl kaum so wichtig ist, ein ganzes Schiff zu riskieren?“ Kiras Stimme war voller Verständnislosigkeit.

„In den Berichten heißt es, sie waren auf einer Mission zur Erforschung eines seltenen Chronitonclusters“, bot Sisko kommentarlos an, doch Kira verstand die unterschwellige Botschaft und enthielt sich einer weiteren Bemerkung. „Egal was die T’Hekal dort gemacht hat, für unsere Mission ist allein die Tatsache wichtig, dass es nach dem Zwischenfall Überlebende gibt. Aufgrund der Nähe zu Atholes III geht man davon aus, die Überlebenden dort zu finden, dem einzigen Klasse-M Planeten in näherer Umgebung und somit einzigem Zufluchtsort der beschädigten T‘Hekal.“

„Was macht Sie so sicher, dass die Überlebenden nicht zu einem anderen Ort transferiert wurden, Captain?“, fragte Odo nachdenklich.

Sisko seufzte schwer, bevor er mit einem Zucken die Schultern hob. „Das hat Starfleet nicht gesagt, aber nach allem, was Admiral Ross über die Mission wusste, setzt die Sternenflotte vollstes Vertrauen in uns. Mit anderen Worten: Es ist nicht auszuschließen, dass die Rettungsmission nur unter solchem Namen läuft. Trotzdem werden wir den Auftrag nach all unseren Kräften erfüllen.“

„Verzeihen Sie Captain, aber war Atholes III nicht einmal Kolonie der Sternenflotte?“, fragte O’Brien unsicher, während er gedankenverloren in die Runde sah, als suche er in den entlegensten Winkeln seines Bewusstseins nach Erinnerungen, seine Vermutung zu bestätigen. Er konnte sich vage daran erinnern, vor langer Zeit einmal etwas über jenen fernen Planeten nahe des cardassianischen Territoriums gehört zu haben.

„Damit haben Sie Recht, Chief.“ Sisko kam mit langsamen Schritten zurück zum Konferenztisch. „Atholes III wurde vor mehr als 40 Jahren durch ein speziell entworfenes Terraformingprogramm von der Sternenflotte zu dem bewohnbaren Klasse-M Planeten umgestaltet, den wir heute kennen. Die erste Kolonie entstand knapp ein Jahr später und entwickelte eine blühende Wirtschaft.“

„Was passierte dann?“ Bashir war sich nicht sicher, ob er es wirklich erfahren wollte, doch solange er zurückdenken konnte, hatte er nie wieder etwas von einer Kolonie auf Atholes III gehört. „Die Cardassianer?“, fragte er betroffen.

„Wenn ich mich recht erinnere, Julian, waren damals nicht die Cardassianer Schuld an dem Untergang der Kolonie.“ Dax schien ebenfalls in ihrem Gedächtnis nach Erinnerungen an jene Zeit zu suchen, was bei der jungen Trill jedoch wesentlich einfacher war, da sie auf die Erfahrung und Erinnerung sieben vorheriger Leben zurückblicken konnte.

Untergang? Julian hatte nicht mit einem derart vernichtenden Aussage gerechnet. Egal was er nun hören würde, das Schicksal der Bewohner jener Kolonie war schon vor langer Zeit besiegelt worden.

„Einer meiner früheren Wirte hatte vor langer Zeit einmal Kontakt zu einem ehemaligen Kolonisten. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube, die Föderation musste schon nach wenigen Jahren die Kolonie wieder aufgeben. Die benachbarten Systeme Betah und Hiar lagen schon seit geraumer Zeit in einem eher schwachen Friedenspakt. Als der Krieg der dort ansässigen Rassen der Lennaren und Morani die Sicherheit des Zenahr-Systems vor knapp 25 Jahren erneut bedrohte, war die Sternenflotte dazu gezwungen, die Kolonie aufzugeben.“

„Aber ich dachte, die Lennaren und Morani leben schon lange in einem dauerhaften Friedenszustand“, meinte Bashir verwirrt.

„Das stimmt auch, Julian. Der Krieg zwischen den beiden Rassen dauerte in etwa 20 Jahre. Eine beträchtlich lange Zeit, aber am Ende der Auseinandersetzungen einigte man sich darauf, einen dauerhaften Waffenstillstand auszuhandeln, bei dem das Zenahr-System zum neutralen Gebiet beider Völker erklärt wurde. Ohne die Interessen beider Völker zu verletzen, war es der Föderation folglich nicht mehr möglich, die ehemalige Kolonie weiter fortzuführen, weswegen Atholes III aus dem Besiedlungsplan der Sternenflotte gestrichen wurde.“ Dax sah den Captain fragend an, doch dieser nickte als Bestätigung, die Lage treffend wiedergegeben zu haben.

Auch Kira blickte abwesend zu Sisko, obgleich ihr Gesichtsausdruck einen leichten Hauch von Sorge verriet. „Es gibt noch einen Grund, warum die Föderation uns schickt, nach Überlebenden der T’Hekal zu suchen, habe ich Recht, Captain?“

Sisko wandte sich ihr zu, dann den anderen und betrachtete seine Führungsoffiziere einen kurzen Moment lang, bevor er fortfuhr. „Laut den Geheimdienstberichten hat Starfleet Intelligence eine weitere – weitaus beunruhigendere – Tatsache herausgefunden: Der Hauptgrund, warum man uns nach Atholes III schickt, ist der, dass man dort eine neue Waffen- und Klonfabrik des Dominions vermutet.“

Eine unangenehme Stille folgte der Aussage des Captains. Eine Klonfabrik für Jem’Hadar Krieger am Ort des Geschehens, ohne den langen Umweg aus den Weiten des Gamma-Quadranten. Obwohl jeder wusste, dass solche Einrichtungen bereits seit geraumer Zeit im cardassianischen Raum existierten – spätestens nach der Vernichtung der Dominion-Flotte im Wurmloch - war die Bestürzung über jene Neuigkeit ein weiterer schwerer Schlag im verzweifelten Kampf gegen die galaktische Ordnung des Gamma-Quadranten.

„Sie wollen, dass wir sie zerstören, nicht wahr?“ Kiras Stimme war kalt und leise, als sie als erste die eisige Stille des Raumes brach.

Sisko brachte nur ein erneutes Nicken zustande. „Unser offizieller Auftrag verlangt, die neu in Angriff genommene Anlage außer Gefecht zu setzen und die Überlebenden der T’Hekal auf Atholes III zu bergen.“

„Wie gedenken Sie dabei vorzugehen, Captain?“ Odo hatte sich mit beiden Ellebogen auf die Platte des Konferenztisches abgestützt, die Hände ineinander verschränkt und wartete auf Siskos Erklärung, wie er jenes Wunder bewirken wollte, dass zur Schwächung des Feindes innerhalb seiner eigenen Linien führte. Auch Bashir und O’Brien sahen sich skeptisch an. Einen Kampf in den offenen Weiten des Weltraumes zu führen, war eine Sache, ein feindliches Lager, das aller Vermutung nach bis auf das Höchste bewaffnet war, allein mit einer begrenzten Anzahl an Fußtruppen zu stürmen, eine ganz andere. Und wie sollten sie überhaupt in die Nähe des Planten gelangen, ohne zuvor von den Cardassianern entdeckt zu werden?

„Das Erreichen des Zenahr-Systems wird hierbei das kleinere Problem darstellen, Constable. Kurz bevor die T’Hekal spurlos verschwand, empfing Starfleet eine kodierte Nachricht über Subraum. Nach der Entschlüsselung stellte sich heraus, dass es sich um die genaue Phasendivergenz der Verteidigungsstation von Atholes III handelte, ebenso wie der Quellen des Subraummodulationsantriebs des cardassianischen Schlachtkreuzers.“

O’Briens Augen erwachten bei der Erwähnung zu neuem Leben. „Das bedeutet, wenn wir den Antrieb der Feldgeneratoren der Defiant so modulieren, dass sie mit dem Subraummodulationsphasen des cardassianischen Schiffes konvergieren und dabei die Schilde um die Antriebsspulen der Defiant auf ein Erosionsmuster einstellen...“

„...gelangen wir mit der Tarnvorrichtung und den neuen Modulationen unbemerkt nach Atholes III“, beendete Sisko den Satz mit einem Lächeln.

O’Briens euphorische Stimmung wurde jedoch sofort gedämpft, als er an die Probleme einer solchen Einstellung dachte. Ohne die richtigen Komponenten, war eine Umstellung der Defiant auf das vorgegebene Muster fast vollkommen unmöglich und um jene Komponenten zu erhalten, war es mindestens notwendig, eines dieser feindlichen Schiffe in intaktem Zustand in die Hände zu bekommen. „Da gibt es nur ein Problem, Sir...“

Der Captain ließ O’Brien nicht einmal die Gelegenheit, seine Bedenken weiter auszuführen, als er mit fester Stimme fortfuhr. „Ich kenne die Probleme einer solchen Umstellung, Chief, und ebenso die Sternenflotte. Die Phasenmodulationsspulen, die sie dazu benötigen, werden noch heute Abend hier auf der Station eintreffen, zusammen mit Captain Robert Evans, der uns von Starfleet zu dieser Mission zugeteilt wurde.“

„Evans, Sir? Das ist nicht etwa DER Robert Evans aus dem Telarianischen Kriegen?“, fragte O’Brien fassungslos. Er sah sich flüchtig um, doch als er merkte, dass niemand seine Euphorie zu teilen schien, wurde ihm klar, dass er eine Erklärung schuldig war. Er wusste nicht, wie er es ihnen am besten verständlich machen sollte, als Sisko ihm erneut zuvorkam.

„Captain Evans war ein ehemaliger Kolonist Atholes III, bevor die Kolonie vor 25 Jahren aufgegeben werden musste. Da die neue Anlage des Dominion unmittelbar in Nähe der größten Stadt Northport des nördlichen Kontinents liegen soll, wurde Evans uns als Führer zugewiesen. Seine Kriegserfahrung sowohl innerhalb der Telarianischen Kriege als auch des Dominionkrieges, sowie seine Ortskundigkeit sind für das Gelingen unserer Mission von großer Bedeutung.“

Worf gab ein kurzes Schnauben von sich, bevor er sich mit dunklem und ernstem Gesicht dem Captain zuwandte. „Die Absicht der Sternenflotte in allen Ehren, Captain, aber wie erwartet man von uns, eine derartig wichtige und strengbewachte Anlage ohne weiteres zu vernichten, ohne auf größeren Widerstand zu treffen? Die Defiant ist ein starkes Schiff, aber nicht so stark, um es allein mit einer feindlichen Armada von cardassianischen Schiffen und Schiffen des Dominion aufzunehmen. Es wäre eine Mission ohne Wiederkehr.“

Sisko sog die Luft ein und hob verständnisvoll die rechte Hand. Worfs Bedenken waren gerechtfertigt und er selbst war sich sicher, die volle Unterstützung des Commanders zu erhalten, selbst wenn er eine derartig auswegslose Mission anordnen würde. Doch soweit war es noch nicht. Worfs Kampfgeist in Ehren, doch Sisko beabsichtigte nicht, seine Crew unnötig zu gefährden. Er selbst hatte zu Anfang vehement gegen die Befehle Starfleets protestiert, hatte sich sogar an Admiral Ross gewandt, um ihm die Ausweglosigkeit jener Mission bewusst zu machen. Sisko wollte nicht der Richter über Leben und Tod seiner Besatzung sein, selbst dann nicht, wenn es die Situation des Krieges von ihm verlangte. Doch zu jenem Zeitpunkt hatte er nicht alle Einzelheiten der Mission gekannt, ebenso wenig, wie seine Offiziere es nun taten.

„Ich gebe Ihnen Recht, Mr. Worf. Unter normalen Umständen wäre eine derartige Mission glatter Selbstmord. Doch wir haben einen entscheidenden Vorteil: Aufgrund der relativen Abgeschiedenheit Atholes III wurde das Dominion erst sehr spät auf die günstige Lage für eine neue Klon- und Waffenfabrik im Alpha-Quadranten aufmerksam. Dem Geheimdienst der Sternenflotte zufolge, begann der Umbau der Anlage erst vor knapp drei Wochen, was bedeutet, dass die Fertigstellung des Komplexes noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Weiter heißt es in den Berichten, dass aufgrund jener Abgeschiedenheit, die Bewachung der Anlage nicht so groß ausfällt, wie man es eigentlich erwarten sollte.“ Sisko breitete mit einem humorlosen Lächeln die Hände aus. „Wir befinden uns im Krieg. Nicht nur unsere Seite, sondern auch das Dominion muss mit den vorhandenen Reserven auskommen. Die Verteilung steht zur Abwechslung einmal auf unserer Seite. Den Berichten zufolge verfügt Atholes III über ein beträchtliches Raumschiffabwehrsystem, das auf einer mobilen Station in der Umlaufbahn des Planeten auf alles feuert, das nicht den Anforderungen des Sicherheitsmusters entspricht. Genau dieses Problem werden wir durch den Einbau der neuen Phasenmodulationsspulen auf der Defiant umgehen. Danach ist unser Einsatz auf der Planetenoberfläche gefragt. Der Plan sieht vor, per Fußtruppen in das Innere der Anlage einzudringen, die Sicherheitsmechanismen außer Kraft zu setzen und die Anlage zu zerstören.“

O’Brien sah verwirrt in die Runde. „Aber, wie sollen wir unbemerkt dorthinein gelangen?“

Siskos Stimme blieb hart. „Genau deswegen wird uns Captain Evans auf unserer Mission begleiten. Es wird seine Aufgabe sein, uns unbemerkt in das Innere der Anlage zu bringen.“

„Wann soll es los gehen?“, fragte Kira mit ernster Miene.

„Sobald Chief O’Brien die Phasenmodulationsspulen, die Captain Evans mitbringt, in die Defiant eingebaut haben wird.“

Auf Siskos fragenden Blick hin, zuckte O’Brien mit den Schultern. „Ich schätze das Ganze wird ungefähr drei Tage dauern, je nach Kompatibilität und Qualität der Spulen“, meinte er zögernd.

„Gut. Soweit wäre das geklärt. Da die Defiant weitere zwei Tage brauchen wird, das Zenahr-System zu erreichen, bleibt noch genügend Zeit, den ausführlichen Missionsplan in Anwesenheit Captain Evans zu erörtern.“ Der harte Befehlston Siskos wich langsam aus seiner Stimme, als er seinen Offizieren und Freunden zunickte. „Bis dahin, gehen Sie Ihren normalen Pflichten nach. Wegtreten.“

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„Wer ist dieser Captain Evans eigentlich?“ Julian hielt den Becher mit der dampfenden, grünen Flüssigkeit mit beiden Händen und schwenkte den Inhalt zum Abkühlen sachte. Dünne, feine Dampfschwaden schlängelten sich in die Höhe und verloren sich, sobald der Dunst Raumtemperatur erreichte.

„Sie meinen, Sie kennen Evans nicht?“, fragte der Chief mit übertriebener Bestürzung und einem Blick, der dem ihm gegenüber sitzenden Arzt verriet, dass er in O’Briens Augen einen erheblichen Rückstand an Allgemeinbildung besaß. Aber was machte das schon? Er war nicht der Einzige, dem der Name rein gar nichts sagte, davon war er überzeugt, nachdem er die Gesichter der anderen während der Besprechung gesehen hatte.

Miles seufzte, stützte sich auf die auf dem Tisch verschränkten Arme und warf einen kurzen Blick zu Quarks Bar, als warte er immer noch darauf, den Ferengi endlich mit seinem bereits vor einer geschlagenen Viertelstunde bestellten Raktajino zu sehen. Die Bar war voller als sonst, doch der Geräuschpegel angenehm niedrig, trotz der sporadischen Daborufe glücklicher Gewinner. Sie hatten sich einen Tisch nahe des Ausganges sichern können, doch die relative Abgeschiedenheit vom zentralen Geschehen bedeutet das Gleiche für die Dienstleistungen, die Quark seinen Kunden zuteil werden ließ.

„Geben Sie’s auf, Miles“, meinte Julian grinsend. „Er hat’s vergessen.“

Der Chief folgte dem Blick des jungen Mannes zum hinteren Teil des Kasinos, in dem Quark vollkommen in der Gegenwart zweier bovanischer, leichtbekleideter jungen Damen aufzugehen schien. Mit einem leicht genervten Stöhnen ließ sich der Ire zurück gegen die Stuhllehne fallen, wobei er zu überlegen schien, ob Quark es wert war, seine Zeit auf eine Beschwerde hin zu verschwenden.

„Vielleicht bestellen Sie sich lieber einen neuen Raktajino.“ Als O’Brien Julian mit einem irritierten Blick maß, hob dieser abwehrend die Hände. „War nur ein Vorschlag.“

„Sehr witzig, Julian“, brummte der Chief abwesend.

Bashir, der die Gereiztheit O’Briens nur zu deutlich spüren konnte, nahm einen Schluck von dem heißen, grünen Tee, bevor er den Becher vor sich absetzte und sich ebenfalls zurücklehnte. „Wer ist jetzt dieser Captain Evans? Ich habe noch nie von ihm gehört, aber nach allem was ich von Ihnen mitbekommen habe, soll er sehr gut sein“, versuchte er den Chief von seiner Verärgerung abzulenken.

O’Brien lachte kurz auf, wandte sich ihm jedoch wie erhofft zu und verzog das Gesicht zu einer schnellen Grimasse. „Sehr gut? Evans ist einer der Besten. Der Mann hat fünf Jahre im Telarianischen Krieg gekämpft. Seine Karriere bei der Sternenflotte war so steil, dass viele bereit sind, ihn als einen Föderationshelden zu sehen.“

„So gut?“ In Julians Stimme klang leise Enttäuschung. Er selbst konnte sich nicht über seine Fähigkeiten beklagen. Seit der Zeit seiner genetischen Verbesserungen hatte er sich an das ständige Gefühl von Erfolg und einer gewissen Überlegenheit anderen gegenüber gewöhnt - auch wenn er es sich selbst nicht gern eingestand. O’Brien nun so von Evans Leistungen schwärmen zu hören, versetzte ihm einen kleinen Stich von Eifersucht. Er verdrängt dieses unangenehme Gefühl so gut er konnte, doch er war unweigerlich gespannt, wie jener Captain Evans wohl wirklich war. Nicht selten war der Ruf eines Mannes mächtiger als seine Taten. Julian konnte sich nur noch zu gut an jenen bajoranischen Kriegshelden Li Nalas erinnern, den er während der Belagerung von DS9 durch die Terroristengruppe des Kreises kennengelernt und an dessen Seite er damals gekämpft hatte. Er fragte sich, wie viele Menschen wohl noch den wahren Li Nalas gekannt hatte, bevor sein tragischer Tod nach der Rückeroberung der Station seinen Namen für immer zu dem machten, was die Menschen wollten, dass er war.

„Ich bin sehr gespannt darauf, ihn kennen zu lernen“, meinte O’Brien. „Ich glaube nicht, dass wir mit Captain Evans größere Probleme auf unserer Mission haben werden. Soviel ich weiß, ist Evans ein hervorragender Stratege, der sein Handwerk versteht.“

„Klingt ja wirklich nach einem tollen Mann“, versicherte Julian dem Chief, bevor er sich seufzend mit der rechten Hand über die Augen fuhr. Er war noch immer müde, obgleich der Tag gerade einmal zur Hälfte verstrichen war und nach ihrer gemeinsamen Mittagspause noch immer eine Menge Arbeit auf ihn warten würde.

„Sie sehen müde aus, Julian. Schlecht geschlafen?“ Die Stimme des Chiefs klang mitfühlend, als wüsste er genau, was den jungen Arzt in der vergangenen Nacht vom Schlafen abgehalten hatte, doch Bashir schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich nur zu wenig.“

Er war sich nicht sicher, warum er log, aber er verspürte nicht das geringste Bedürfnis über die Ereignisse der vergangenen Nacht zu sprechen, die er lieber verdrängt hätte. Es war trotz allem nur ein Traum. Ein Traum, der ebenso schnell verflog und aus der Realität verschwand wie die Dunkelheit dem Licht wich. Jeder hatte Dinge, die ihn beschäftigten – und er bezweifelte, dass der Vorfall vergangener Nacht, abgesehen von den täglichen Sorgen über den Krieg und das Dominion, allzu viel zu bedeuten hatte.

„Wann kommt Captain Evans an?“, versuchte Julian von seiner Müdigkeit abzulenken.

Der Chief zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher, aber der Captain sagte etwas von heute Abend. Die genaue Uhrzeit weiß ich leider nicht, aber ich bin mir sicher die werde ich wohl früh genug erfahren. Wenn ich an den Einbau der neuen Phasenmodulationsspulen denke, bereue ich es noch nachträglich, mir nicht mehr Freizeit in den letzten Tagen genommen zu haben.“

Julian fragte sich, wie viele Male O’Brien sich in seinem Leben wohl bereits gewünscht hatte, kein leitender technischer Offizier geworden zu sein. Der Alltag des Chiefs bestand aus ständigen Reparaturen und jedes Mal dann, wenn er glaubte, alles Anstehende erledigt zu haben, kam es zu einem neuen Zwischenfall, der ihn weitere Stunden an den Arbeitsplatz fesselte. Die Installation der Phasenmodulationsspulen auf der Defiant würde nicht gerade wenig Zeit in Anspruch nehmen und in frühestens drei Tagen beendet sein – vorausgesetzt er arbeitete effizient und ohne Verzögerung.

„Wie wäre es mit einem kleinen Besuch in der Holosuite nach Feierabend“, schlug Julian mit einem kurzen Nicken in Richtung der oberen Etage und einem verschwörerischen Grinsen vor. „Quark hat sicher noch einen Termin frei.“

O’Brien schüttelte den Kopf. „Ich...“, fing er an, während er sich vom Tisch erhob „...kann leider nicht, Julian.“ Mit leicht resigniertem Blick, versuchte er sich für die nur kurze Gesellschaft und den zerschlagenen Vorschlag zu entschuldigen. „Der Plasmaverteiler der Defiant muss vor dem Einbau gewartet werden und wenn ich nicht rechtzeitig damit beginne, brauche ich vielleicht länger mit dem Einbau, als erwartet. Captain Sisko rechnet damit, dass ich schon unmittelbar nach der Ankunft der Spulen mit dem Einbau beginne.“

Julian nickte verständnisvoll und lehnte sich nach vorne. „Ist schon in Ordnung, Miles. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir bereits mehr Zeit genommen, als ich eigentlich angesichts der angesammelten Arbeit nehmen dürfte.“ Mit einem kurzen, aufmunternden Lächeln, versuchte er O’Briens Schuldgefühle zu zerstreuen.

„Also dann. Geben Sie auf sich Acht, Julian“, meinte O‘Brien mit einem freundlichen Lächeln, bevor er mit eiligen Schritten das Quarks verließ.

Julian lehnte sich mit ausdruckslosem Gesicht zurück, während er vor sich in die Leere starrte. Gut, dann würde der Spion heute wohl nicht zum Einsatz kommen und wenn er ehrlich war, hatte er mit der Arbeit nicht gelogen. Es wartete tatsächlich eine Menge Arbeit in der Krankenstation auf ihn, vielleicht sollte er nicht mehr Zeit mit Herumsitzen vergeuden, als nötig.

„Geht es Ihnen gut, Doktor?“

Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und als er aufblickte, sah er in das aufgequollene Gesicht des Ferengi. Quark hielt in der rechten Hand eine Tasse mit einer braunen, heißen Flüssigkeit, während er sich verwirrt umsah.

Als Bashir sich seufzend erhob und den Stuhl zurück an den Tisch schob, wich er dem kleinen Barbesitzer mit einer schnellen Drehung des Oberkörpers aus und meinte trocken, „Sie haben ihn gerade verpasst, Quark“, bevor er das Kasino in Richtung Krankenstation verließ.

Der Ferengi sah ihm kopfschüttelnd hinterher und schnaubte kurz, während er sich daran machte, den überflüssigen Raktajino zurück zum Tresen zu bringen.
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