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Familienbande

von Emony

Kapitel 1

„Jim, was willst du hier? Hast du nichts auf der Brücke zu tun? Geh und ärgere Spock, ich bin beschäftigt“, sagte Leonard in einem Ton, der noch viel gereizter klang, als Jim es von ihm gewohnt war. Und was noch erstaunlicher war als der bissige Ton, war dass der Arzt sich direkt im Anschluss in seinem Büro einschloss.

Jim stand wie vom Donner gerührt inmitten der Krankenstation und sah ein wenig betreten zu Christine Chapel hinüber. „Ist was passiert, von dem ich wissen sollte?“ Für gewöhnlich machte es Bones nichts aus, wenn Jim ihn in der Krankenstation besuchen kam. Im Augenblick war nichts los auf der Brücke. Sie hatten nach einer fünf Monate andauernden Forschungsmission Kurs auf die Erde gesetzt. Die Enterprise würde dort einer Generalüberholung unterzogen werden – natürlich unter strengster Beaufsichtigung des Chefingenieurs Scott – und Bones würde endlich ein paar Wochen ausspannen können und Joanna wiedersehen. Jim hatte angenommen, dass diese Aussicht allein schon Grund genug für Bones sein würde, bester Laune zu sein. Dass er stattdessen derartig griesgrämig war, beunruhigte Jim ein wenig.

Chapel trat zum Captain hinüber. „Er ist schon den ganzen Morgen so schlecht drauf, dass ich mir ernsthaft überlegt habe ein ‚Achtung, bissiger Doktor’ Schild außen an die Tür zu hängen.“

Jim konnte sich ob dieser Vorstellung ein Grinsen nicht verkneifen, bemühte sich jedoch gleich darauf wieder um Fassung. „Und Sie wissen nicht, warum er so mies drauf ist?“, hakte Jim nach und starrte die verschlossene Bürotür an.

„Nicht direkt“, erwiderte Chapel zurückhaltend.

Damit hatte sie Jims endgültige Aufmerksamkeit. Er wandte sich ihr zu und sah sie ernst an. „Was meinen Sie mit nicht direkt?“ Jim verschränkte die Arme vor der Brust.

„Der Doktor hat mich heute früh gefragt, ob es mir möglich wäre, ihn nach Atlanta zu einer Familienfeier zu begleiten, und ich musste ablehnen. Ich hab gesehen, wie schwer es ihm fiel, mich überhaupt darum zu bitten, aber ich … ich freue mich zu sehr darauf, meine eigene Familie wiederzusehen, Sir.“

„Verständlich“, nickte Jim bestätigend. Selbstverständlich freute sich Chapel auf ihre eigene Familie. Wer tat das nicht? Nun ja, abgesehen von Jim, der keine Familie auf der Erde hatte, zu der er hätte gehen können. Seine Mutter war auf der USS Dauntless stationiert, die derzeit eine Region kartographieren sollte, die irgendwo in der Nähe des thalonianischen Sektors lag. So genau wusste es Jim nicht mehr. Und es war ihm auch egal. Zumindest redete er sich das einigermaßen erfolgreich ein. „Was für eine Familienfeier ist das?“

Chapel schüttelte den Kopf. „Das hat er mir nicht gesagt. Ich habe mich mehrfach bei ihm entschuldigt, aber das scheint seine Laune nur noch weiter verschlimmert zu haben.“

„Machen Sie sich keine Vorwürfe, Christine“, sagte Jim und legte ihr die Hand auf den Oberarm, „Sie trifft keine Schuld. Ich werde mal schauen, ob ich ihn nicht etwas aufheitern kann.“

Chapel hob sichtlich besorgt die Augenbrauen, wodurch sich ihre sonst glatte Stirn in kleine Falten legte. „Sind Sie sicher, dass das eine gute Idee ist? Er schien sich über Ihren Besuch nicht sonderlich zu freuen.“

Jim grinste zwanglos. „Als ob mich das je aufgehalten hätte.“ Bones aufzuheitern war eine Herausforderung, der er sich immer wieder gerne stellte, selbst wenn er nicht immer allzu erfolgreich war. „Aber bleiben Sie bitte in der Nähe, nur für den Fall, dass ich sein Büro nicht unverletzt verlasse“, zwinkerte er, und Chapel honorierte sein sonniges Gemüt mit einem Kopfschütteln, dem ein kleines Lächeln folgte.

***

„Herrgott, Jim, ich hab zu tun“, sagte Leonard genervt, kaum dass Jim sein Büro betreten hatte. Er blickte nicht einmal von dem Computerterminal auf, an dem er saß und versuchte einen Bericht zu schreiben. Dass Jim ihm gefolgt war, half seiner ohnehin mangelnden Konzentration nicht gerade.

„Was für ein Familienfest ist das, zudem du Christine eingeladen hast?“

„Das geht dich nichts an“, fuhr Leonard ihn an.

Jim gab sein Bestes, sich von dem bissigen Tonfall nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Wieso hast du mich nicht gefragt? Du weißt doch, dass ich immer Zeit für dich habe.“ Er versuchte nicht gekränkt zu klingen, aber er war sich einigermaßen sicher, dass Bones heraushören würde, dass er es eben doch war. „Hast du Angst, ich blamiere dich vor deiner Familie?“

„Blödsinn, Jim.“ Leonard seufzte und klang schon nicht mehr ganz so gereizt.

„Also, dann …“ Jim hob erwartungsvoll die Brauen und schenkte Bones ein spitzbübisches Lächeln.

„Das geht nicht, Jim“, erwiderte Leonard bedauernd und fuhr sich mit den Händen durch das sorgfältig gekämmte Haar, sodass es ihm plötzlich wild vom Kopf stand. Dann ließ er sich in die Lehne seines Sessels zurückfallen und seufzte theatralisch. Jim setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs und sah ihn unverwandt auf eine Erklärung wartend an.

„Meine Eltern feiern goldene Hochzeit“, brummte Bones schließlich.

„Wow, das sind fünfundzwanzig Jahre, oder? Nicht schlecht“, staunte Jim.

„Fünfzig, du Trottel.“ Bones klang ein wenig erschöpft.

„Oh … unfassbar.“ Jims Augen wurden groß. Er hatte nie eine Beziehung gehabt, die länger als ein paar Wochen gehalten hatte. Fünfzig Jahre erschienen ihm im Vergleich wie eine Ewigkeit.

Leonard sah ihn einen gedehnten Moment abschätzig an. „Wie auch immer. Jedenfalls wird meine ganze Familie da sein.“

„Das muss dich doch freuen. Ich weiß, dass dir deine Familie sehr wichtig ist.“

„Ich muss jemanden dahin mitbringen, andernfalls kann ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass meine Mutter versuchen wird mich zu verkuppeln.“

Bones gab diese Information mit einer Grabesstimme preis, die Jim einigermaßen befremdlich erschien.

„Und wenn schon. Was kann das schaden, wenn du mal wieder zum St-“ Jim unterbrach sich, als ihn ein derartig stechender Blick von Bones traf, dass er eine Gänsehaut bekam. „Ok, du willst nicht flachgelegt werden. Kann ich zwar nicht nachvollziehen, aber ok. Und wieso bist du jetzt so griesgrämig?“

„Weil“, begann Leonard und hielt inne, um sich seine nächsten Worte genau zu überlegen, „weil ich meiner Mutter in einem Anflug von Wahnsinn bereits gesagt habe, dass ich selbstverständlich gerne mit meiner Begleitung komme. Du hättest das Leuchten in ihren Augen sehen sollen. Sie kann es kaum erwarten …“ Er schloss die Augen und bemühte sich ruhig zu atmen. „Christine wäre optimal gewesen. Ich hätte ihre Hilfe nur für ein paar Tage gebraucht und dann für Jahre meine Ruhe gehabt.“

Jim traf ein plötzlicher Geistesblitz. „Du wolltest, dass sie sich als deine Freundin ausgibt?“

Bones blickte ihn sekundenlang ungeduldig an, dann zuckte er die Schultern. „Warum nicht? Es wäre ja nur für ein paar Tage gewesen.“

Jim legte spekulierend den Kopf schief. „Glaubst du, du hättest es fertig gebracht, deine Rolle glaubwürdig zu spielen, Bones? Ich sehe dir an, wenn du lügst. Und ich bezweifle, dass deine Mutter sich von dir dermaßen verschaukeln lassen würde.“

„Das spielt jetzt keine Rolle mehr“, sagte Bones unwirsch, und nahm Jims alarmierende Kenntnis seines Charakters als gegeben hin. „Ich habe meine Mutter bereits belogen und sie wird es so oder so herausfinden.“ Er hatte seine Mutter nie zuvor belogen. Hier und da etwas geschwindelt, ja, aber nie so richtig belogen. Dafür schätzte und liebte Leonard seine Mutter viel zu sehr. Und er konnte sich schon jetzt den Ausdruck völliger Enttäuschung in ihren Augen vorstellen, wenn er plötzlich doch allein zu der Feier käme.

„Hast du deiner Mutter gesagt, dass du eine Frau mitbringst?“, fragte Jim, dem eine Idee kam, die Bones zweifellos nicht gefallen würde.

„Hast du mir eben nicht zugehört?“, raunte Leonard in ungläubiger Ungeduld.

Jim stand auf und kreuzte die Arme vor der Brust. „Hast du deiner Mutter explizit gesagt, du kämst mit einer weiblichen Begleitung?“

Bones blinzelte ihn an. „Nein. Aber ….“

„Dann komme ich mit“, sagte Jim schnell, ehe Bones seinen Satz vollenden konnte.

„Du hast mir wirklich nicht zugehört“, erwiderte Leonard, zunehmend genervt, und erhob sich ebenfalls. Er sah Jim in die Augen und fuhr in einem Ton fort, der jeden Außenstehenden davon hätte ausgehen lassen, dass er Jim für debil hielt. „Meine Mutter erwartet die zukünftige Mrs. Leonard McCoy. Das habe ich ihr suggeriert. Ich hätte dieses Spiel eine Weile weiter betreiben können und ihr dann in ein paar Jahren gestanden, dass es nicht geklappt hat, verstehst du? Sie erwartet, dass ich mit einer Frau auftauche, Jim.“

„Und du glaubst, es würde sie schocken oder enttäuschen, wenn du mich stattdessen mitbrächtest?“

Erleuchtung senkte sich über Leonard. Er weitete leicht die Augen, blieb jedoch überraschend ruhig. „Joanna wird auch da sein, Jim. Sie kennt dich.“

Jim machte sich sehr gerade. „Und wenn schon. Joanna liebt mich.“

„Eben. Ich kann ihr das nicht antun“, seufzte Leonard. „Abgesehen davon habe ich nicht wirklich vor, meiner gesamten Familie zu suggerieren ich sei schwul. Alle werden da sein, Jim, begreif das doch.“

Jim ließ leicht die Schultern hängen. „Tja, es war ja nur ein Vorschlag, Bones. Und ich denke, dass du deiner Mutter durchaus vermitteln könntest, dass du einfach einen guten Freund mitgebracht hast. Wir müssten uns ja nicht zwangsläufig als Paar ausgeben.“ Er machte eine kleine Pause. „Abgesehen davon gibt es noch immer so etwas wie Bisexualität.“

Er hatte die letzten Worte sehr leise gesprochen, fast schon trotzig.

Leonard blickte Jim einen sehr langen Moment an. Jim konnte ihm ansehen, wie er die Möglichkeit im Kopf durchspielte und versuchte irgendwie seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, die er sich selbst gebunden hatte. Jim kannte niemanden, der so integer war wie Bones. Selbst wenn die Wahrheit, die manchmal ganz unabsichtlich sehr direkt über Bones’ Lippen kam, schmerzte, so hatte Jim diese Ehrlichkeit immer genossen. Bei Bones wusste er wirklich immer, woran er war. Dass Bones seine Mutter belogen hatte, machte seinem besten Freund sichtlich zuschaffen.

„Wenn meine Familie erwartet, dass ich dich küsse?“, sagte Bones schließlich unsicher. Er biss sich auf die Unterlippe. „Dass wir zusammen tanzen oder …“

„Bones“, sagte Jim und legte seinem besten Freund die Hände auf die Schultern. „Ich komme einfach als dein Freund mit. Wenn deine Mutter es so interpretiert hat, dass du eine zukünftige Mrs. Leonard McCoy mitbringst, ist das doch nicht unbedingt dein Problem. Wir sagen ihr einfach, dass sie das missverstanden hat, und alles wird gut. Dann müssen wir auch Joanna nichts vormachen und es gibt nichts, worüber du dir solche Sorgen machen musst.“

Ihre Blicke hielten aneinander fest. Bones sah die Zuversicht in Jims Blick und beruhigte sich zunehmend. „In Ordnung“, nickte er dann, „so machen wir es. Ich bringe dich einfach als Freund mit und erkläre meiner Mutter, dass sie mich missverstanden hat.“

Jim grinste. „Ganz genau. Das werden super Ferien. Und ich lerne endlich mal deine Familie kennen.“

Leonard wollte seinem Freund nur zu gerne glauben, dass es genauso leicht werden würde, wie er versprach. Allerdings kannte er Jim nun schon einige Jahre, und hatte die Erfahrung gemacht, dass grundsätzlich alles schief lief, was nur schief gehen konnte, wenn Jim versprach, dass es lustig werden würde.
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