TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Echos der Vergangenheit

von Emony

Bewusstseinsverlust

Leonard hatte endlich seinen letzten Bericht fertig geschrieben. Dass seine Schicht längst zu Ende war, bemerkte er erst, als Dr. M’Benga im Türrahmen auftauchte und auf das Chronometer deutete, das hinter Leonard an der Wand hing.

M’Benga hatte sich während seines Medizinstudiums auf vulkanische Physiologie spezialisiert, was ihm bei seiner Bewerbung einen nicht unwesentlichen Vorteil verschafft hatte. Jim hatte darauf bestanden wieder einen zweiten Mediziner an Bord zu holen, nachdem Dr. Garner sich hatte versetzen lassen, und Leonard hatte es ihm nach den vergangenen Monaten absolut nicht verdenken können. Allerdings war ihm Dr. Garner lieber gewesen, da sie ihn selbst in psychologischer Hinsicht wunderbar ergänzt hatte. Inzwischen lag das emotionale Wohl der Patienten vor allem in Chapels Händen.

„Ich hatte schon Angst zu spät zum Dienst zu kommen. Aber wie mir scheint haben Sie nicht auf mich gewartet“, sagte der dunkelhäutige Mann.

Leonard lächelte müde. „Sie kennen mich doch. Ich lasse meine Arbeit nie unfertig liegen. Das bringt mich um meinen Schlaf.“

„Ich bin mir sicher, dass der Captain nicht darauf besteht immer alle Berichte – egal wie bedeutungslos sie vielleicht manchmal sein mögen – als erstes morgens um acht auf seinem Tisch haben möchte.“

Damit mochte M’Benga recht haben, aber Leonard wollte seine private Beziehung zu Jim nicht dahingehend ausnutzen. Es erschien ihm wichtig sein Privatleben von seiner Arbeit zu trennen, auch wenn sein Verlobter gleichzeitig auch sein Captain war. Besonders weil Jim sein Captain war.

„Ist Schwester Chapel noch da?“, fragte Leonard, ohne weiter auf den kleinen Seitenhieb einzugehen. Seine Beziehung zu Jim ging M’Benga schließlich nichts an.

„Nein“, schüttelte M’Benga den Kopf. „Ihre Schicht ist seit zwei Stunden um, wenn ich mich nicht irre.“

Leonard nickte. „Natürlich.“ Dabei hätte er gerne noch mit ihr über einige Hochzeitsvorbereitungen gesprochen. Inzwischen hatte er seine diversen Ideen auf drei reduziert, die in die engere Auswahl kamen. Und er hätte gerne ihre Meinung dazu gehört. Aber das musste dann eben bis morgen warten. Wenn es schon so spät war, fragte sich Jim vielleicht bereits, ob er heute Nacht überhaupt noch heim käme. Womöglich war er sogar sauer, weil Leonard mal wieder Überstunden gemacht und überdies ihr gemeinsames Abendessen versäumt hatte.

„Da die Krankenstation leer ist, kann ich wohl davon ausgehen, dass es ein ruhiger Tag war?“, erkundigte sich M’Benga, als Leonard sich hinter dem Schreibtisch erhob und seinen blauen Uniformpulli über das schwarze T-Shirt zog.

„Davon dürfen Sie ausgehen, ja. Einer von Scottys Technikern kam mit einer ziemlich hässlichen Schnittwunde rein, aber ich hielt es nicht für nötig ihn über Nacht hier zu behalten und hab ihn stattdessen mit einem leichten Schlafmittel in sein Quartier geschickt. Er hat morgenfrüh einen Termin zur Kontrolle.“

Diesmal war es M’Benga der nickte. „Ok. Gut, dass ich mir was zum Lesen mitgebracht habe.“

„Ein dickes Buch?“

„Ja“, lächelte M’Benga. „Gute Nacht, Doktor McCoy.“

„Danke. Und Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.“ Leonard packte seine PADDs und machte sich eilends auf den Weg zu Jims Quartier. Nein, zu ihrem gemeinsamen Quartier, korrigierte er sich gedanklich. Ob er Jim noch etwas mitbringen sollte, um seine Verspätung wieder gut zu machen?

~*~

„Hey, Jim, es tut mir leid, dass es so spät …“ Leonard blieb die Entschuldigung im Hals stecken, als er das gemeinsame Quartier betrat und dort Jim bewusstlos auf dem Boden liegen sah. „Jim!“ Er ließ die PADDs und alles andere fallen, war mit nur wenigen Schritten bei ihm und kniete sich neben Jim. Die Tür zum Quartier glitt leise zischend hinter ihm zu. „Jim, kannst du mich hören?“ Er fühlte Jims Puls und kontrollierte die Atmung. Beides war einigermaßen stabil, was Leonard sofort ein wenig beruhigte. „Jim.“ Auch die Pupillen reagierten normal, was ihn in dem Moment jedoch nur mäßig beruhigte. „Ich bin gleich wieder bei dir“, versprach er, obwohl Jim ihn wohl gar nicht hören konnte.

Leonards Gedanken rasten, als er hinüber zur Interkom eilte und es aktivierte. „McCoy an Krankenstation. Medizinischer Notfall im Quartier des Captains.“

Die Reaktion kam beinahe sofort. „Ich bin unterwegs“, bestätigte M’Benga. Soviel dazu, dass der junge Mann eine ruhige Schicht haben würde.

„Jim …“ Leonard kniete sich wieder neben seinen Liebsten. „Was hast du nur angestellt?“ Soweit er nach seiner ersten visuellen Untersuchung sagen konnte, hatte Jim keine offensichtlichen Verletzungen. Sobald M’Benga mit dem Medkit auftauchte bekam er hoffentlich einige aufschlussreiche Hinweise. „Jim, ich bin hier. Hörst du? Was immer du hast, ich finde es heraus. Das wird schon wieder. Mach dir keine Sorgen.“

Wo blieb denn nur M’Benga?

Endlich öffnete sich die Tür und sein Kollege kam mit dem ersehnten Medkit ins Quartier geeilt.

„Verdammt, wie langsam sind Sie?“, herrschte Leonard ihn an.

M’Benga schluckte eine Erklärung hinunter. Als Arzt wusste er, dass Angehörige gerne in Panik gerieten. Dass selbst Dr. McCoy nicht dagegen gefeit war, wunderte den Mediziner kaum. Und er bezweifelte, dass es ihm selbst anders erginge, läge jemand der ihm selbst wichtig war, bewusstlos am Boden. „Was ist passiert?“, erkundigte er sich daher, klappte das Medkit auf und reichte McCoy den medizinischen Tricorder. Auch wenn er jetzt im Dienst war und McCoy nicht mehr, ging M’Benga davon aus, dass es sich der andere Arzt nicht nehmen lassen würde, die Untersuchungen selbst vorzunehmen.

„Wenn ich das nur wüsste“, raunte Leonard, nickte ein Danke und begann damit Jim zu scannen.

Immer wieder änderte er die Einstellung des Tricorders, zog die Stirn kraus, schüttelte den Kopf und gab ganz allgemein nur grüblerische Geräusche von sich. M’Benga versuchte immer wieder einen Blick auf die Daten zu erhaschen, die McCoy dem technischen Gerät entlockte, aber richtig schlau wurde er nicht aus den Fragmenten, die er zu sehen bekam.

„Er hat keine Verletzungen. Seine Vitalfunktionen sind beinahe normal. Es wirkt fast so …“ Leonard hielt inne und sah M’Benga verwirrt und gleichzeitig besorgt an.

„Als ob er schläft“, ergänzte der andere Mann und nahm McCoy behutsam den Tricorder aus der Hand. „Niemand schläft so fest.“

„Nein“, schüttelte Leonard den Kopf. „Nicht einmal Jim Kirk.“ Er sah sich in dem gemeinsamen Quartier um. Versuchte Hinweise zu finden, die die Ursache für Jims Zustand erklären würden. Aber da war nichts. Absolut gar nichts!

„Wir sollten ihn dennoch auf die Krankenstation bringen“, schlug M’Benga vor und McCoy nickte gedankenverloren, während er sich erhob.

M’Benga ließ zwei Pfleger mit einer Trage kommen, die Jim Kirk zur Krankenstation brachten. Leonard McCoy folgte ihnen, war in Gedanken jedoch dabei die Daten des Tricorders zu analysieren.

~*~

McCoy und M’Benga versuchten jeden erdenklichen Trick, der ihnen einfiel, doch es gelang ihnen nicht, ihren Patienten aufzuwecken. Leonard hatte sogar Riechsalz versucht, eine ganz klassische Methode, die jedoch ebenfalls erfolglos blieb. Er fuhr sich fahrig durch sein fein säuberlich gekämmtes Haar. Sein Blick lag auf Jim, während M’Benga den Bewusstlosen erneut scannte.

„Mich erinnert das an eine Patientin, die durch einen traumatischen Vorfall ebenfalls das Bewusstsein verlor und nicht ansprechbar war“, meinte der Dunkelhäutige nach einem nachdenklichen Moment.

„Ein Trauma?“ Das hätte ein wirklich umfassendes Trauma sein müssen. Was hatte Jim in seinem Quartier derart traumatisieren können? „Wie haben Sie Ihre Patientin geheilt?“, erkundigte sich Leonard, doch sah er dabei nicht seinen Kollegen, sondern weiterhin seinen Liebsten an.

„Nicht mir gelang es sie zu heilen, bevor ihr Verstand nicht mehr zu retten war. Es war ein vulkanischer Hohepriester.“

McCoy seufzte. Nachdem Vulkan zerstört war, standen seine Chancen einen noch lebenden Hohepriester zu finden praktisch gleich null. Für einen flüchtigen Moment schloss McCoy die Augen und ging im Geiste seine sämtlichen Traumapatienten durch. Jedoch hatte keiner von ihnen je einen so schweren Schock erlitten, dass sie in einen komaähnlichen Zustand verfallen wären. Sie hatten unter schweren Alpträumen und Angstzuständen gelitten. Nichts was eine Psychotherapie in Kombination mit entsprechenden Medikamenten nicht hätte heilen können. Davon abgesehen wollte Leonard einfach nichts einfallen, das Jim im Grunde aus dem Nichts heraus dermaßen hätte traumatisieren können.

„Ich weiß, dass es unwahrscheinlich ist, dass Captain Kirk unter einem vergleichbaren Trauma leidet, wie es bei meiner Patientin der Fall war“, sagte M’Benga vorsichtig. Er fuhr erst fort, als McCoy ihm direkt in die Augen sah. „Dennoch könnte eine vulkanische Geistesverschmelzung Licht ins Dunkel bringen.“

Sämtliche Alarmglocken schrillten in seinem Verstand los, als Leonard die Idee auch nur in Betracht zog. Jim hatte Spock schon ein paar Mal erlaubt in seinen Verstand einzudringen, doch diesmal konnte er seine Erlaubnis nicht geben. Leonard fand, dass weder er noch M’Benga das Recht hatten, Jim diese Entscheidung abzunehmen. Aus diesem Grund schüttelte er letztlich den Kopf. „Das kommt nicht in Frage.“

„Bei allem Respekt, Doktor McCoy, aber im Augenblick habe ich Schicht. Das macht den Captain zu meinem Patienten. Und ich halte es für ratsam, Commander Spock zu konsultieren. Er ist nun mal als einziger an Bord in der Lage einen außergewöhnlichen Einblick in Kirks Verstand vorzunehmen.“

Leonard atmete tief durch, während er um seine Selbstkontrolle rang. „Ich halte nichts von Geistesverschmelzungen. Damit kann mehr Schaden angerichtet, als gut gemacht werden.“ Jim hatte ihm von seiner ersten Erfahrung mit dem Spock aus der Zukunft berichtet. Davon, wie Spock nicht nur Bilder, sondern auch Emotionen übertragen hatte und wie Jim plötzlich das Gefühl gehabt hatte, dass der Tod sämtlicher Vulkanier, die nicht mehr evakuiert werden konnten, auf seinen Schultern lastete. Dass er sich verantwortlich gefühlt hatte, obwohl es nicht seine eigenen Gedanken und Gefühle gewesen waren. All der Schmerz und … Leonards Blick wich von M’Benga zu Jim. „Dieser verfluchte, spitzohrige Bastard!“

„Was?“, fragte M’Benga verwirrt. Ganz offensichtlich hatte McCoy ein Geistesblitz getroffen. „Woran denken Sie, Doktor?“

Ohne M’Benga zu antworten, eilte Leonard zur Interkomanlage und schlug geradezu auf das Bedienfeld, um einen Kanal zu öffnen. „McCoy an Spock. Melden Sie sich umgehend auf der Krankenstation.“

„Würden Sie mich bitte in Ihre Gedanken einweihen?“, fragte der Dunkelhäutige geduldig und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wenn ihm womöglich ein Vulkanier dieses Trauma beschert hat, dann soll ihm auch einer wieder da heraushelfen“, erklärte Leonard steif und ging zurück zu Jim, dem er zärtlich eine Hand an die Wange legte.

M’Benga verstand kein Wort. Glaubte McCoy, dass Kirk aufgrund einer Geistesverschmelzung zusammengebrochen war?

~*~

Wenig später erschien Spock in der Krankenstation. Noch ehe sich die Tür hinter ihm schließen konnte, hatte der Halbvulkanier die Situation erfasst und trat eiligen Schrittes hinüber zum Biobett, auf dem sein bewusstloser Captain lag. „Was ist passiert?“, verlangte er von den Medizinern zu erfahren.

„Das wissen wir nicht genau“, begann M’Benga, kam jedoch nicht dazu weiterzusprechen, da McCoy das Wort an sich riss.

„Rein hypothetisch gesprochen, Spock: Ist es möglich, dass eine Geistesverschmelzung bei einem Menschen dazu führen kann, dass dieser Monate später unter einem Trauma leidet, das so immens ist, dass es zu einem Schockzustand führen kann?“

Spock dachte für einen Sekundenbruchteil nach, ehe er mit gerunzelter Stirn antwortete: „Das käme vermutlich auf die übertragenen Gedanken an. Pauschal ausschließen kann man es nicht, da der menschliche Verstand nicht annähernd so belastbar ist wie der eines Vulkaniers.“

McCoy kniff die Augen zusammen und beachtete die schlecht versteckte Beleidigung nicht weiter. Noch bevor er Spock eine weitere Frage stellen konnte, kam dieser ihm zuvor.

„Was fehlt dem Captain?“, verlangte er als Erster Offizier erneut zu erfahren. Wenn der Captain ernsthaft erkrankt war, musste er das wissen und das Sternenflotten-Hauptquartier auf der Erde davon in Kenntnis setzen.

„Es scheint, als sei er in ein Koma gefallen. Vermutlich hervorgerufen durch eine traumatische Erfahrung.“

„Selbst ein Mensch fällt nicht von jetzt auf nachher in ein Koma“, meinte Spock nüchtern, dabei trat er gänzlich ans Fußende des Bettes und betrachtete seinen Captain und Freund für einen Moment. „Könnte es getriggert worden sein?“

McCoys Augenbrauen schossen in die Höhe. Warum war er da nicht selbst drauf gekommen? Es ärgerte ihn, dass Spock womöglich recht und die Idee vor ihm hatte. „Denkbar.“

„Waren Sie bei ihm, als er das Bewusstsein verlor?“, fragte Spock analytisch weiter und sah McCoy direkt an.

Dieser schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hab länger gearbeitet. Ich fand ihn in unserem Wohnraum auf dem Boden. Es muss ihn plötzlich erwischt haben.“

Spock ging die wenigen Informationen im Geiste durch, konnte jedoch noch keine sinnvolle Schussfolgerung daraus ziehen. „Wenn Sie nichts dagegen haben, sehe ich mich Ihrem Quartier um. Vielleicht finde ich Hinweise, die mir etwas Aufschluss geben.“

„Ich begleite Sie“, erwiderte McCoy, dem nicht so recht gefiel, dass Spock in seinen und Jims privaten Räumen herumschnüffeln wollte.

„Sie wollen nicht beim Captain bleiben?“ Spock konnte sein Erstaunen kaum unterdrücken.

„Er ist bewusstlos und in keiner akuten Gefahr. M’Benga hat ihn außerdem im Blick.“

„In dem Fall“, meinte Spock daraufhin nur und deutete zur Tür, „nach Ihnen, Doktor.“

M’Benga sah den beiden Offizieren nach und wünschte ihnen viel Glück bei der Suche. Vor seinem geistigen Auge sah er wieder die bewusstlose T’Prynn, die nach dem Attentat, bei dem ihre Geliebte tödlich verunglückt war, in ein Schockkoma gefallen war. Bis dahin hatte er nichts Vergleichbares erlebt gehabt und er konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie hilflos sich McCoy im Moment fühlen musste. Zumal es kein Geheimnis war, wie nahe dieser dem Captain stand.

Sobald sie den Turbolift erreichten und die Tür sich hinter den beiden Männern geschlossen hatte, wandte Leonard sich mit seiner Theorie direkt an Spock. „Ist es möglich, dass der alte Spock Schuld an Jims Zustand trägt?“ Er hatte das Thema nicht vor M’Benga ansprechen wollen, da dieser nichts von dem Spock aus der Zukunft wusste und das sollte auch so bleiben.

„Wie kommen Sie darauf, Doktor?“

„Durch die Verschmelzung, die dieser Mistkerl vorgenommen hat, um seine Erinnerungen an die Zukunft mit Jim zu teilen. Jim durchlebte durch seine Augen die Zerstörung Vulkans mit und musste all den Schmerz und das Leid fühlen, das Ihr Alter Ego empfunden hatte.“

Spock wollte auch diese Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen, sah jedoch nicht, wieso diese Verschmelzung erst nach so vielen Monaten zu einem Trauma führen sollte. Nach einem kurzen Moment der Besonnenheit, erwiderte er daher: „Ich halte es zwar nicht für ausgeschlossen, aber für höchst unwahrscheinlich, dass dies irgendetwas mit jener Verschmelzung zu tun hat. Ebenso wenig habe ich dem Captain etwas übertragen, das ihm …“ Noch während er sprach, kam Spock ein ganz anderer Gedanke. Etwas, auf das er den Captain nie angesprochen hatte, da es sehr persönlich war.

„Was ist los, Spock? Reden Sie mit mir“, verlangte McCoy. Der Lift stoppte und die Männer stiegen aus.

Zielstrebig ging Spock zum gemeinsamen Quartier des Captains und des Doktors und wartete geduldig, bis McCoy den Code eingab, um die Tür zu entriegeln.

„Spock, verdammt, ich bin kein Telepath. Was ist Ihnen eben durch den Kopf geschossen?“ Wenn Spock seine Ausführungen unterbrach, dann nicht ohne Grund. Soviel hatte McCoy inzwischen über den Vulkanier gelernt.

Die Tür des Quartiers schloss sich zischend hinter den beiden Offizieren. Kaum, dass sie wieder vollkommen unter sich waren, legte Spock die Hände in den Rücken und sah sich forschend in den Räumen um. „Als ich vor einigen Monaten meinen Geist mit dem des Captains verschmolz … teilte er seine Erinnerungen mit mir. Dadurch konnte ich einige Erlebnisse aus seiner Kindheit erleben – und er die meinen.“

„Das ist ja interessant, aber was hat das mit …“, redete McCoy ihm dazwischen, hielt jedoch inne, als er Spocks Ungeduld in dessen Blick sehen konnte. Spock mochte es nicht, wenn man ihn unterbrach. Gerade deshalb tat es McCoy jedoch so gerne. Er liebte es den Vulkanier an den Rand seiner Kontrolle zu treiben.

„Hat Ihnen der Captain je von seiner Kindheit erzählt?“, wollte Spock wissen.

McCoy zuckte die Schultern. „Ein bisschen. Seine Mutter hat ihn und seinen Bruder viel auf der Erde bei ihrem zweiten Ehemann zurückgelassen, während sie auf Missionen unterwegs war. Soweit ich weiß, hatte Jim kein allzu gutes Verhältnis zu Frank – dem Stiefvater.“

„So kann man es auch ausdrücken“, stimmte Spock zu und betastete bei der Erinnerung an Jims Kindheit seine Wange, wo Franks Faust den Jungen getroffen hatte. „Halten Sie es für denkbar, dass der Captain ein Erlebnis seiner Kindheit verdrängt hat, das ihn nun wieder heimsucht?“

Auch wenn Leonard es ungern zugab, konnte er nur nicken. „Das könnte im Grunde auf jeden zutreffen. Der menschliche Verstand arbeitet anders als der vulkanische. Ich weiß, dass Sie Ihre traumatischen Erlebnisse analysieren und so verarbeiten können. Sie blockieren die dazu gehörigen Emotionen. Menschen wiederum sind auf unbewusster Ebene dazu imstande besonders traumatische Ereignisse so weit zu verdrängen, dass sie keinerlei Erinnerung mehr daran haben. Man hat solche Erinnerungen früher gern mittels Regressionshypnose wieder ins aktive Bewusstsein zurückgeholt, um eine entsprechende Therapie durchführen zu können. Inzwischen weiß man, dass der Verstand gewisse Erinnerungen nicht umsonst ausblendet. Daher gibt es seither eine Reihe anderer Heilmethoden, die jedoch meist individuell auf jeden Patienten abgestimmt werden.“

„Was passiert mit diesen unterdrückten Erinnerungen, wenn sie durch einen unvorhersehbaren Einfluss ins aktive Bewusstsein zurückgezerrt werden?“

„Das ist ebenso individuell verschieden wie die modernen Therapien“, erwiderte Leonard und begriff, worauf Spock hinaus wollte. „Jim ist so ziemlich der stärkste Mensch, den ich kenne. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es etwas gibt, das bei ihm einen sprichwörtlichen Nervenzusammenbruch auslösen könnte. Denken Sie doch nur daran, was er in den letzten Monaten alles erlebt und verarbeitet hat.“

Spock nickte. „Ich kann Ihre Skepsis verstehen. Dennoch würde ich meiner Theorie gerne weiter nachgehen, wenn Sie gestatten.“

„Als ob Sie meine Erlaubnis bräuchten“, erwiderte Leonard sarkastisch.

„Ich würde gerne die Protokolle Ihres gemeinsamen Computers überprüfen, um nach Hinweisen zu suchen.“

„Schließt das die persönlichen Logbücher ein?“, fragte Leonard mit erhobener Braue. Der Gedanke behagte ihm nicht besonders.

„Ich würde unter Umständen gerne die Logbücher des Captains überprüfen.“

Leonard seufzte. Er war sich nicht sicher, wie Jim entscheiden würde, wäre die Situation umgekehrt. Andererseits konnte er Jim nicht helfen, wenn er die Ursache nicht kannte. „In Ordnung. Tun Sie, was Sie tun müssen.“ Für einen Moment sah sich Leonard in dem gemeinsamen Quartier um und überlegte, ob er Spock irgendwie helfen konnte. Aber dann entschloss er sich dazu, lieber wieder nach Jim zu sehen. Er wusste zwar, dass er bei M’Benga in guten Händen war. Aber Jim mochte Ärzte nicht sonderlich und wenn nur die geringste Chance bestand, dass er spürte, dass sich ein anderer Arzt um ihn kümmerte … Leonard wollte für ihn da sein. Wollte Jim wissen lassen, dass er für ihn da war. „Wenn Sie mich brauchen, finden Sie mich in der Krankenstation.“

„Sollten Sie sich nicht etwas ausruhen? Wie ich es sehe, können Sie im Augenblick ohnehin nichts für den Captain tun, Doktor.“

„Ich will Ihnen hier nicht im Weg sein.“

„Es lag nicht in meiner Absicht meine Untersuchung hier in Ihrem Quartier fortzuführen. Die Interkom-Protokolle kann ich ohnehin nur von der Brücke aus überprüfen.“

Es vergingen einige gedehnte Momente, ehe Leonard wieder das Wort ergriff. „Ich könnte jetzt sowieso nicht schlafen. Ich lege mich zur Not in der Krankenstation hin.“ Das war für ihn nichts Ungewöhnliches. „Machen Sie sich keine Gedanken um mich. Ich ruhe mich aus, versprochen. Aber ich will erst nach Jim sehen.“

Spock nickte langsam. „Einverstanden. Ich halte Sie auf dem Laufenden.“

„Danke.“
Rezensionen