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Ein anderes Leben

von Nerys

Erster Teil

Ein anderes Leben


Erster Teil

Es lag nicht am Sedativ. Die Konfrontation mit Silaran Prin hatte Kira ausgelaugt. Sie blickte aus halb geschlossenen Augen auf den in der Düsternis des Hauses nur als dunklen Haufen zwischen einer immensen Sammlung technischer Gerätschaften auszumachenden Cardassianer. Gezeichnet vom Krieg hatte er sich in Rachegelüsten verloren. Wie viele sinnlose Opfer musste es noch geben, ehe das Blutvergießen endlich ein Ende fand? In den sechzig Jahren der cardassianischen Präsenz auf Bajor waren Millionen zu Tode gekommen. Auch auf Seiten des Feindes waren viele gestorben, die nie eine Waffe getragen hatten. Diener wie Silaran. Frauen. Kinder. Kira hatte niemals Kinder töten wollen, und doch hatten durch die von ihr platzierte Bombe, die Gul Pirak galt, auch seine zwei Söhne sowie seine Gemahlin den Tod gefunden. Dieses unschuldige Blut würde an ihren Händen kleben, so lange sie lebte. Erneut fiel ihr Blick auf Prins Überreste. Die Wut, die sie zuvor verspürt hatte, festgehalten von dem Kraftfeld, war verloschen. Sie empfand nur noch Bedauern. Für den Mann, der nie gekämpft hatte, und doch vom Krieg zerstört worden war. Für ihre Freunde, die alle Kämpfe überlebt hatten, und nun von technischen Spielereien völlig sinnlos getötet worden waren. Lupaza und Furel. Mobara. Latha. Trentin. Wie viele mussten noch sterben? Vielleicht war es ein Fehler gewesen, den Weg der Gewalt zu gehen. Hatte ihr Vater sie nicht eindringlich davor gewarnt?
„Ich wünschte, ich hätte auf deinen Rat gehört, Papa“, flüsterte sie heiser.
„Ist es wirklich das, was du dir ersehnst?“
Die Stimme, die ihr antwortete, gehörte nicht ihrem Vater, doch war sie so vertraut. Sie hob ihren schweren Kopf und sah sich einer in Licht getauchten Gestalt gegenüber. Die unbeschreiblich sanften Augen der kleinen rundlichen Frau musterten sie aufmerksam. In ihnen lag ein Wissen weit jenseits einer gewöhnlichen Lebensspanne.
„Kai Opaka“, brachte Kira nur tonlos hervor.
Die Erscheinung lächelte gütig auf sie herab. „Ist ein Leben jenseits der Gewalt das, was du dir wünschst?“
Die uniformierte Bajoranerin nickte schwach. „Ich will, dass es endlich aufhört! Dieses sinnlose Sterben. Lupaza. Furel. Trentin. Keiner von ihnen hatte den Tod verdient. Auch Prin nicht, oder die Söhne von Pirak. Sie waren noch Kinder und ich habe sie auf dem Gewissen!“
„Dann folge diesem Pfad. Aber bedenke, wenn du nur einmal von ihm abweichst und in Rage Blut vergießt, wirst du wieder die, die du vorher warst.“
„Ich verstehe nicht…“
Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte die Lippen der Kai. Sie streckte Kira auffordernd die Hand entgegen und die junge Frau ergriff sie. Hinter Opakas beinahe strahlender Präsenz verblasste die Düsternis dieser Leiche eines Gebäudes. Sie legte Kira behutsam beide Hände auf die Schultern, woraufhin ein herrliches Gefühl der Wärme und Geborgenheit sie erfüllte. Sie spürte wie sie in die Dunkelheit eines reinigenden Schlafes fiel.

Licht drang durch Kiras geschlossene Lider. Sie blinzelte. Das leise Plätschern von Wasser erweckte jäh ihre Aufmerksamkeit. Wasser?? Verwirrt öffnete sie die Augen. Sie lag im Gras, das neckisch die bloße Haut ihrer Arme kitzelte. Die letzte Erinnerung in ihrem Kopf war ein verwahrlostes Gebäude auf dem Rücken eines selbst für cardassianische Ansprüche trostlosen Mondes. Was sie jetzt vor sich sah, war ein hübsches weiß getünchtes Wohnhaus umgeben von einem gepflegten Garten. Im Hintergrund erhob sich ein großer bajoranischer Tempel. Nein, es handelte sich nicht um eine beliebige Gebetsanlage, sondern das Kloster bei ihrer Heimatgemeinde Hathon. Hastig erhob Kira sich. Das Baby in ihrem Bauch quittierte die jähe Lageänderung mit einem heftigen Tritt. Das Baby! sie sah an sich herunter. Der kleine Sohn der O’Briens schien quietschfidel zu sein, doch jemand hatte ihr offenbar die Uniform ausgezogen. Statt dieser trug sie ein einfaches bajoranisches Kleid und bequeme Halbschuhe. Nachdenklich zwirbelte sie die Spitze des geflochtenes Zopfes, in dem ihr das rotbraune Haar über die Schulter fiel. Moment! Das war unmöglich! Sie trug ihre Haare schon lange kurz gechnitten und in einer so geringen Zeitspanne vermochten sie nicht zu einer solchen Länge zu wachsen. Seit ihrer Begegnung mit Silaran Prin und ihrer Vision von Kai Opaka konnten schließlich nicht mehr als ein paar Stunden vergangen sein. Irgendetwas stimmte hier eindeutig nicht!
„Nerys!“
Diese Stimme ging ihr durch Mark und Bein. Sie wirbelte herum, so rasch es ihr Zustand zuließ, und sah einen hochgewachsenen Mann in der Robe eines Vedeks auf sich zukommen. Ein Paar dunkelbrauner Augen betrachtete sie mit demselben Ausdruck der Liebe und Zärtlichkeit, mit dem er sie früher immer angesehen hatte. Aber er war tot!
„Antos?“ stieß sie verblüfft hervor.
„Ja, oder hast du jemand anderen erwartet?“ Bareil kam vor ihr zum Stehen und machte Anstalten sie zu umarmen, doch sie wich verstört vor ihm zurück. „Was ist los mit dir, Nerys?“
„Ich äh… nein, schon gut. Anscheinend bin ich hier draußen eingeschlafen.“ Sie betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. Alles an ihm wirkte unglaublich vertraut. Die Art wie er sich bewegte, wie er sprach. Genauso erinnerte sie sich an ihn. Doch er war schon vor zwei Jahren gestorben!
Er nickte verständnisvoll. „Ich wollte dich nicht wecken, in deinem Zustand brauchst du schließlich viel Ruhe, aber es wird Zeit zu gehen. Aries ist schon ganz aufgeregt.“
„Wohin denn gehen?“ Sie starrte ihn fragend an. Und wer war Aries? Sie kannte niemanden dieses Namens, obwohl Antos’ Worte auf etwas anderes hindeuteten.
„Du hast es doch nicht vergessen?“ Er hob die Brauen, dass sie beinahe unter seinem Haaransatz verschwanden. „Heute beginnt das Peldor-Fest. Aries spricht seit vielen Tagen von nichts Anderem mehr.“
Diese ganze Situation war so grundfalsch, dass sie träumen musste. Ja, das mochte die Erklärung sein. Sie schlief. Es war Bareil gewesen, der sie gelehrt hatte, dass man sich auf seine Träume einlassen sollte, weil sie oft eine Erkenntnis in sich bargen. Noch immer irritiert folgte sie ihm über die Terrasse zu der Glastür, die in einen gemütlich eingerichteten Wohnraum führte. Auf dem Boden bemerkte sie einen Gegenstand aus Holz, der so gar nicht zu seiner Ordnungsliebe passte. Jäh stürzte eine kleine Gestalt aus einer Ecke des Raumes hervor und zwei dünne Arme griffen nach ihr.
„Buuuhhh!!!“ rief eine Kinderstimme.
Erschrocken wich Kira zurück. Ein Junge wirbelte begeistert lachend um sie herum, so schnell, dass sie ihm kaum zu folgen vermochte. Bareil schnappte den etwa Sechsjährigen am Kragen, damit er innehalten musste, und sah ihn mit gespielter Strenge an.
„Aries, lass das! Ich habe dir schon hunderttausend Mal gesagt, dass du nicht so wild mit deiner Mutter sein sollst. Du weißt doch, dass sie sich schonen muss…“
„…bis das Baby da ist“, setzte der Junge altklug fort. „Ja ja, Papa! Ich hab nur Spaß gemacht. Gehen wir jetzt zum Fest?“
Verblüfft starrte Kira von dem Kleinen zu Bareil und zurück. Sie musste sich verhört haben. Dieser Bub konnte unmöglich ihr Sohn sein, sie hatte doch keine Kinder - nicht einmal das, das gerade in ihr heranwuchs, war ihr eigenes.
Antos sah sie fragend an. „Was hast du heute, Nerys? Du wirkst so zerstreut.“
Sie machte eine abwehrende Geste, immer noch unfähig ein Wort zu sagen. Kopfschüttelnd wandte er sich Aries zu, der aufgeregt auf und ab hüpfte. „Dich müssen wir dringend sauber machen, junger Mann.“
„Mag aber nicht!“, protestierte der Bub, der kurze Hosen trug, auf denen sich deutliche Grasflecken zeigten. Seine bloßen Füße waren voller Erde.
„Abmarsch ins Bad, wenn du zum Fest willst“, konterte Bareil. „Deine Mutter möchte sich vorher auch noch umziehen.“ Er dirigierte den unwillig vor sich hin brummenden Jungen hinaus in den Flur, wo sie über eine Treppe im oberen Stockwerk verschwanden.
Kira blieb allein und völlig verdattert zurück. Sie ließ ihren Blick in dem hellen gemütlichen Raum umher schweifen. Es war nicht die einladende Sofaecke vor dem Kamin, die ihre Aufmerksamkeit erregte, sondern der Arbeitstisch unter dem Fenster im rückwärtigen Bereich. Neben Büchern und Schriften, die sie aus Bareils Gemach im Kloster kannte, stand dort eine gerahmte Fotographie. Ihre Finger ergriffen den filigranen Rahmen. Die Aufnahme zeigte zwischen Antos und ihr auch den kleinen breit grinsenden Jungen namens Aries. Sie schüttelte leicht den Kopf. Hätten sie einen gemeinsamen Sohn gehabt, würde er vielleicht aussehen wie dieser Bub. Zumindest war er Bareil sehr ähnlich. In Gedanken versunken stellte sie das Bild zurück auf seinen Platz. Das war wirklich ein merkwürdiger Traum. Antos hätte ihr vermutlich dazu geraten, ihn einfach zu genießen. Ein bitteres Lächeln schlich auf ihre Lippen. Sie hatte sich selbst nie als Ehefrau und Mutter gesehen, weil es ihr immer widerstrebt hatte, in einer Welt aus Hunger und Gewalt eine Familie zu gründen. Aber jetzt herrschte Frieden auf Bajor und Kinder waren die Zukunft. Behutsam legte sie die Hand auf ihren Leib, während sie ebenfalls über die Treppe nach oben stieg. Auf dem Flur im ersten Stock gab es mehrere Türen. Hinter der ersten hörte sie dumpf Antos’ und Aries Stimmen. Die zweite trug in bunten Lettern den Namen des Buben. Auf der gegenüber liegenden Seite stand ein weiterer Durchgang halb offen. Sie spähte neugierig in den dahinter befindlichen Raum, bei dem es sich um ein Schafzimmer mit einem großen Bett handelte. An dessen Fußende lag ein schlicht geschnittenes elegantes Kleid ausgebreitet. Bareils Worten zufolge, hatte sie offenbar vor, es auf dem Fest zu tragen. Zögernd marschierte sie weiter in den Raum. Sie kam sich wie ein Eindringling vor, obwohl es sich um ihr gemeinsames Haus und ihr Schlafzimmer zu handeln schien. Auf einer Seite neben dem Bett bemerkte sie eine leere Säuglingswiege, die aus dem gleichen rötlichen Holz wie die übrige Einrichtung gefertigt war. Lächelnd berührte sie das am Kopfende befestigte Mobile aus bunten Vögeln, das sich daraufhin sacht drehte. Sie kam nicht umhin, sich zu fragen, welches Kind darin schlafen sollte. Schließlich entschied sie, sich dem Kleid zu widmen, dessen hauchzarter fließender Stoff die Farbe von bajoranischem Flieder besaß. Für solch ausnehmend weibliche Bekleidung hatte sie nie viel übrig gehabt, Hosen waren ihr immer funktioneller erschienen. Mit dem hinderlichen Bauch gestaltete sich das Umziehen nicht einfach, doch irgendwie gelang es ihr am Ende doch. Sie schloss die Verschnürungen an der Brust und zupfte sich den Rock zurecht. Zögernd drehte sie sich einmal um sich selbst. Der Stoff lag angenehm leicht auf der Haut. Neugierig trat sie vor den Spiegel, der über einer kleinen Kommode hing, um sich zu betrachten. Das Kleid stand ihr gut, musste sie einräumen.
„Du siehst wundervoll aus, Liebes.“ Bareil legte von hinten die Arme um ihre Taille. Über seiner Robe trug er nun einen Festumhang, der ihn erhaben wirken ließ. Seine großen sanften Hände streichelten zärtlich über ihren runden Bauch. „Wenn unser Baby ein Mädchen wird, dann wird sie bestimmt genauso schön wie ihre Mutter.“
Kira versteifte sich unwillkürlich. Ein Mädchen? Das Kind, das sie trug, war ein Junge und der Sohn von Miles und Keiko O’Brien. Gewiss konnte sie nicht verleugnen, dass sie sich, je näher die Geburt rückte, das eine ums andere Mal insgeheim gewünscht hatte, es wäre wirklich ihr Baby und sie durfte es lieben. Ein Zupfen an ihrem Rock holte sie aus ihren Überlegungen. Sie blickte auf Aries hinab, der sie aus seinen großen dunklen Augen ansah. Seine schmutzigen Sachen waren einer samtenen Hose, einem sauberen Hemd und bequemen Schuhen gewichen.
„Können wir jetzt endlich los, Mama?“ quengelte er ungeduldig.
Liebevoll streichelte die junge Frau ihm durch sein braunes Haar. Es war eine so schöne Vorstellung, aber zugleich vollkommen irreal. „Geht ihr zwei nur. Ich glaube, ich bleibe lieber hier. Mir ist nicht ganz wohl.“
„Ich möchte dich… euch nur ungern allein lassen, wenn es dir nicht gut geht“, entgegnete der Vedek besorgt. „Das Fest läuft ja nicht weg, wir können auch später dazu stoßen.“
Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf, während die Augen des Buben vor Enttäuschung in Tränen schwammen. „Ich möchte, dass ihr beide geht. Aries hat sich schon so darauf gefreut. Inzwischen werde ich mich ein bisschen hinlegen, nachher bin ich bestimmt wieder auf dem Damm.“
Bevor er erneut zu widersprechen vermochte, schnitt sie ihm mit erhobener Hand das Wort ab. Sie wollte allein sein. Diese ganze Szenerie fühlte sich zu unwirklich an, um sie einfach zu genießen. Nachdem Antos und Aries den Raum verlassen hatten, zog Nerys die Schuhe aus und ließ sich in dem schönen Kleid aufs Bett sinken. Sie fühlte sich auf einmal so geschlaucht und erschöpft, dass sie einschlief, sobald ihr Kopf das Kissen berührte.

Das Baby weckte Kira mit unruhigen Tritten. In Erwartung, sich in ihrem Quartier an Bord der Station wiederzufinden, richtete sie sich verschlafen auf. Stattdessen lag sie jedoch nach wie vor in dem fliederfarbenen Kleid auf dem Bett in einem Haus in Hathon auf Bajor. Von Bareil und dem Jungen war nichts zu sehen, die beiden schienen sich noch bei den Feierlichkeiten aufzuhalten. Bruchstückhaft erinnerte sie sich an wirre Bilder, in denen Odo sie für den Diebstahl seiner Daten arretiert und Bashir angeregt hatte, sie bis zur Geburt nicht wieder aus der Zelle zu lassen, damit sie des Leben des Kindes nicht weiterhin rücksichtslos gefährdete. Man konnte doch nicht träumen, wenn man bereits einen Traum erlebte, oder? Eine andere Szene trat in den Mittelpunkt ihrer Gedanken. Die Frage, die ihr Opaka, von innen heraus strahlend, stellte. War sie bereit dazu, einen Weg jenseits der Gewalt zu gehen? Sollten ihr die Propheten diese ersehnte zweite Chance tatsächlich gewährt haben? Ein neues Leben ohne all das sinnlose Blutvergießen. Ihr knurrender Magen fühlte sich zumindest äußerst real an. Sie beschloss etwas Essbares zu organisieren, doch auf dem Weg zur Tür bemerkte sie auf der Kommode vor dem Spiegel ein Schmuckstück, das ihr zuvor entgangen war. Ein bajoranisches Verlobungsarmband. Dasselbe trug sie auf der Fotographie, die unten im Wohnraum auf Bareils Arbeitstisch stand. Von Neugier ergriffen begann sie die Schubladen der Kommode näher zu inspizieren. Sie wollte unbedingt erfahren, wie es zu alldem gekommen war. In der untersten stieß sie auf ein paar abgegriffene kleine Bücher, die per Hand beschrieben waren. Es handelte sich ohne jeden Zweifel um ihre eigene Schrift. Mit ihrem Fund und einer Mahlzeit aus einer Schnitte Mapa-Brot sowie einem reifen Moba machte Kira es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem. Schon bei den ersten durchgeblätterten Seiten der Lektüre wusste sie, dass es ihre Tagebücher waren, die sie unregelmäßig gefüllt hatte. Das war merkwürdig, denn sie konnte sich nicht erinnern, sich je die Zeit für etwas so Nutzloses genommen zu haben. Noch seltsamer erschien ihr die Widmung am Beginn des ältesten Buches.
Für meine Tochter und den einzigen Schatz, der geblieben ist. Möge der Weg der Propheten dir Glück bringen, Nerys. Dein dich liebender Vater.
Bei diesen Worten glaubte sie beinahe seine sanfte ruhige Stimme zu hören, die, auch wenn sein Gesicht in ihrer Erinnerung verblasste, deutlich in ihrem Geist klang. Was sie in dem alten Band niedergeschrieben hatte, verriet ihr, dass er sie nach dem Tod ihres Bruders Reon davon überzeugt hatte, mit den dafür nötigen vierzehn Jahren Klosterschülerin zu werden. Die religiösen Stätten waren die einzigen halbwegs sicheren Orte während der cardassianischen Herrschaft gewesen. Ihr Vater hatte damals tatsächlich versucht, ihr ein Leben in der Hand der Propheten schmackhaft zu machen, weil er sein einziges noch lebendes Kind beschützt wissen wollte. Doch sie hatte den Kampf gesucht, anstatt der Kunst, die das Erbe ihrer Familie war. Sie hatte Waffen in ihren Händen Pinsel und Farben vorgezogen. In dem Leben, an das sie sich erinnerte. All das, was in diesen Büchern stand, klang so fremd. Sie lernte Antos während ihrer Zeit im Kloster kennen. Nach Abschluss der Ausbildung im Alter von einundzwanzig kehrte sie in die Siedlung zu ihrem Vater zurück, um dort zu leben. Ein gutes Jahr danach starb er bei dem brutalen Überfall der Cardassianer, die Helfer und Sympathisanten des Widerstandes auszuräuchern versuchten. Bareil hielt damals die Totenwache für ihn und die anderen Opfer. Er gab ihr Halt und Trost in dieser Zeit, und da sie keine Schülerin mehr war, begann Liebe daraus zu werden. Sie heirateten im Tempel und nach ein paar Jahren kam ihr gemeinsamer Sohn zur Welt. Eine gewöhnliche, wenig aufregende Geschichte.
„Du liest deine Tagebücher, wie ich sehe“, sagte seine Stimme neben ihr.
Kira hatte ihn nicht heimkommen gehört, so vertieft war sie in die Lektüre. Auf den Armen hielt er Aries, der mit dem Kopf an seiner Schulter schlief. Er bedeutete ihr, ihn nach oben zu bringen, und sie folgte ihm. Aries war so müde, dass er nicht wach wurde, als sie ihn vorsichtig entkleidete, um ihm den Pyjama anzuziehen. Sie drückte ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn, ehe sie den Raum verließ. Bareil erwartete sie bereits im Schlafzimmer. Er hatte seine Robe gegen einen bequemen Schlafanzug getauscht und beobachtete sie nun, wie sie sich aus dem eleganten Kleid schälte.
„Grins nicht so“, beschwerte sie sich. „Mit dem Bauch ist das schwerer als es aussehen mag.“
Im Nachthemd kroch sie zu ihm unter die Bettdecke. Er zog sie behutsam in die Arme. Seine Nähe, sein Duft, seine liebevollen Hände waren so vertraut, und doch fühlte es sich falsch an. Sie war mit Shakaar zusammen, oder zumindest erinnerte sie sich daran, es gewesen zu sein. Es hatte so lange gedauert, Bareils Tod zu überwinden und sich auf eine neue Liebe einzulassen.
„Hast du aus deinen Tagebüchern neue Erkenntnisse gewonnen?“
Irritiert von der Frage nickte sie. „Ja, einige. Damals wollte ich unbedingt die Cardassianer bekämpfen, aber ich hatte nicht den Mut dazu, eine Waffe zu ergreifen. Stattdessen ließ ich mich von meinem Vater ins Kloster stecken. Man bewirkt nichts mit dem Pinsel in der Hand.“
Bareil hob belustigt die Brauen. „Du warst zu lange nicht mehr auf dem Dachboden bei deinen Staffeleien, glaube ich! Künstler bewirken viel, indem sie andere bewegen. Ich dachte, das hättest du begriffen, nachdem die Leute angefangen haben, deine Bilder zu kaufen.“
„Vielleicht tun sie das, aber manchmal reicht das nicht. Die Cardassianer wurden nicht mit Malereien und Skulpturen vertrieben.“
„Und auch nicht vom Widerstand mit Waffen.“ Er betrachtete nun mit ernster Miene. „Nerys, bereust du, dass du dem Weg der Propheten gefolgt bist? Bereust du, was wir beide aufgebaut haben? Unsere Ehe? Unser Sohn? Unser Baby in dir?“
Kira schüttelte unsicher den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Ich liebe dich, Antos.“
„Ich dich auch, mehr als du dir vorstellen kannst.“ Er beugte sich über sie, um sie zärtlich zu küssen. Beinahe hatte sie vergessen wie gut seine Lippen schmeckten. „Du wirst doch morgen mitkommen zum Fest, damit wir unsere Erneuerungsschriftrollen schreiben?“
„Sicher“, antwortete sie träge, schon halb in den Schlaf gefallen. Seit sie schwanger war, schlug die Müdigkeit ständig so abrupt zu. Es gelang ihr nicht mehr wach zu bleiben. Ihr Kopf ruhte auf seiner warmen Brust, die sich in seinem Herzrhythmus hob und senkte.
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