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Abriachan Teil I - Am Scheideweg

von Gabi

Kapitel 7

„Eins, zwei, Drehung. Gut! Jetzt Ausfall rechts. Links. Sehr gut!“ Admair wischte rasch den Schweiß von der Stirn, während Chailleach erneut angriff.

Sie trainierten mit langen Stöcken im Waffenhof. Die Männer hatten beide Hände an den Stockenden platziert und umkreisten sich tänzelnd. Der Kommandant gab von Zeit zu Zeit Anweisungen, wie der Jüngere sich zu bewegen hatte. Aus anderen Bereichen des Hofes erklangen die Geräusche weiterer Gruppen, die dort übten.

Admair hatte täglich mindestens fünf Stunden Kampftraining angeordnet, meistenteils mit konventionellen Waffen oder waffenlos, aber auch Scharfschützentraining mit Strahlenwaffen gehörte zum Programm. Jetzt da sie von der Expedition zurückgekehrt waren, ahndete er Versäumnisse schärfer als zuvor. Er wusste, dass seine Einheit in hervorragendem Zustand war, doch er war nicht so naiv zu glauben, sie könnten es mit einer Allianz der Palastwache und der anderen Güter aufnehmen - sollte es zum Äußersten kommen.

Es blieb ihnen bestenfalls ein halbes Jahr, um sich vorzubereiten. Doch sollte Suidhe ihm dann wirklich verbieten, seine Pflicht bei der Königin von Althena zu erfüllen, musste etwas geschehen. Admair hatte noch nie gehört, dass sich ein Soldat geweigert, oder dass eine Herrin sich gegen eine Königin widersetzt hatte. Er verstand nicht, warum gerade Suidhe es tun musste. Nein, das war falsch, er verstand es im Grunde schon. Suidhe liebte ihn. Ihre Augen, ihre Körpersprache, alles bewiesen ihm dies jeden Tag aufs Neue. Es war nicht ungewöhnlich, jedoch auch nicht häufig, dass sich eine Frau ausschließlich an einen Mann band. Seine Herrin hatte es getan und er hatte ihre Gefühle aus tiefstem Herzen erwidert. Es war wunderbar, nach einem Tag anstrengenden Trainings ihre Zärtlichkeit zu kosten. Admair wollte nicht mehr ohne ihren weichen Körper und ohne ihre Küsse sein.

Und genau deswegen fühlte er sich jetzt schuldig. War seine heftige Erwiderung ihrer Zuneigung vielleicht der Grund gewesen, warum sie sich zu diesem radikalen Schritt entschlossen hatte? Wenn er weniger leidenschaftlich gewesen wäre, vielleicht wäre dann jetzt ihr gesamtes Gut nicht in Gefahr? Vielleicht hätte sie ihn dann einfach ziehen lassen? Sein oberstes Gebot war es, seine Herrin zu beschützen und genau das machte sie ihm mit ihrer Entscheidung unmöglich. Eine Entscheidung, die in verkehrter Ordnung ihn schützen sollte.

Er konzentrierte sich auf die wirbelnden Stöcke und ließ nicht zu, dass seine Taktik von seinen Überlegungen abgelenkt wurde.

Chailleach parierte, wich geschickt aus, wenn er einer Attacke Admairs nichts entgegensetzen konnte, fand seinen Stand wieder und griff seinerseits an.

„Der Arzt wird uns also sein Wissen mitteilen“, keuchte er, als er einen Schlag abfing.

Admair blitzte ihn an.

„Rheat war heute Nacht bei mir“, antwortete der Jüngere die unausgesprochene Frage.

Admair täuschte einen Angriff an, zog im letzten Moment aber herum und stieß von der anderen Seite zu. Chailleach war darauf vorbereitet. Mit einer raschen Drehung des Körpers ließ er Admair ins Leere laufen, und steckte nur eine schmerzlose Berührung seines Oberarms ein.

Der Kommandant wirbelte auf der anderen Seite herum, um Chailleach nicht seinen schutzlosen Rücken zuzuwenden. Es hätte ihn gewundert, wenn sein Schützling in der ersten Nacht nach seiner Ankunft in Ruhe gelassen worden wäre. Der junge Mann war wegen seiner unschuldigen Schönheit zum begehrtesten Bettgefährten auf dem Gut geworden. Manchmal fragte Admair sich, wie er jeden Tag auch noch die Anstrengung des Trainings durchstand. Seit er 18 Jahre alt war – davor durften die jungen Soldaten nicht berührt werden – hatte er wenige Nächte alleine verbracht. Chailleach erklärte stets, dass ihm das nichts ausmachen würde – zum Teil war es sogar seine eigene Schuld, wenn er seinen zügellosen Charme einsetzte – doch Admair wusste, dass das nicht stimmte. Der junge Mann litt oft darunter. Er wurde zuvorkommend behandelt, manche der Frauen verwöhnten ihn regelrecht, doch das alles täuschte nicht darüber hinweg, dass er ein Objekt war, ein geliebtes Haustier. Der Kommandant musste sich mit diesen Wünschen der Frauen nicht auseinandersetzen. Seit Suidhe ihn zu ihrem Liebhaber gemacht hatte, war er in sexueller Hinsicht für alle anderen tabu.

Chailleach wirbelte geschickt um die eigene Achse. Dieses Mal musste Admair einen Rückzug antreten, um dem Angriff zu entgehen.

„Meinst du, wir werden es schaffen?“ Chailleach brachte sich wieder in Position. „Meinst du, die Frauen können tatsächlich schwanger werden?“

Admair antwortete nicht, sondern parierte den nächsten Schlag.

„Die Königin wird darauf reagieren müssen.“ In den Augen des jungen Soldaten glitzerte so etwas wie Fanatismus auf. „Und sie wird ihren Platz räumen müssen.“

Admair schnellte auf den anderen zu. Mit einer Wendigkeit, die seiner muskulösen Gestalt auf den ersten Blick nicht zuzutrauen wäre, führte er von unten herauf eine Kombination von Schlägen gegen Chailleachs Abwehr aus, die schließlich den Stock des Jüngeren aus dessen Händen rissen. „Du redest zu viel!“

Chailleach sprang leichtfüßig zurück. Als der Kommandant stehen blieb, hob er seinen Stock vom Boden auf und verneigte sich in Anerkennung seiner Niederlage. „Und du bist verärgert.“

Admair trat an die Wand, wo er seinen Stock in die Halterung stellte und sich mit einem Handtuch den Schweiß von Gesicht und Armen rieb. „Bin ich nicht.“

Chailleach verstaute seine Waffe daneben. „Doch, das bist du. Was ist los? Du willst die Veränderung doch genau so wie wir.“

Admair nahm die Wasserflasche an, die der Jüngere ihm reichte, und trank mit gierigen Zügen. Als er sie absetzte, blickte er auf den Hof hinaus zu den kämpfenden Gruppen seiner Männer. „Ich bin mir dessen nicht so sicher. Ich weiß nicht, ob dir oder Suidhe überhaupt klar ist, was vielleicht vor uns liegt.“

„Für die Herrin kann ich nicht sprechen, doch ich weiß es ganz genau: Unser Leben.“

Admair wandte ihm den Kopf zu. Chailleachs Stimme hatte hart geklungen. Der Kiefer des jungen Mannes war angespannt, seine markanten Wangenknochen standen hervor, Strähnen seines Haares hingen ihm ins Gesicht und bedeckten die dunklen Augen, die eisern und unbeweglich auf den Waffenhof hinaus starrten. Admairs Gedanken über Schuldgefühle kamen ihm plötzlich nichtig vor. Es war eine Vereinfachung der Tatsachen, wenn er sich einredete, dass es Suidhes Gefühle für ihn waren, die sie alle auf den Punkt ohne Umkehr zutrieben. Was sie taten, taten sie nicht nur für Admair – vielleicht nicht einmal in erster Linie – sie taten es für Chailleach. Wenn ihre Gesellschaftsstruktur blieb wie sie war, dann wäre das Leben des jungen Soldaten in zwei Jahren beendet. Es gab nicht die geringste Chance, dass er nicht von einer der Königinnen ausgewählt wurde.

Admair legte ihm den Arm um die Schultern. Chailleach wandte seinen Blick vom Hof ab und lehnte seinen Kopf an die Schulter seines Kommandanten. Admair lächelte schwach. Seit er ein kleiner Junge war, hatte Chailleach auf diese Weise bei ihm Trost gesucht. „Ich kann nicht behaupten, dass ich glaube, dass wir eine große Chance haben, wenn es zu einer offenen Auseinandersetzung kommen wird. Doch ich verspreche, dass ich euch nicht im Stich lasse“, gelobte er dem jungen Mann. „Es wäre alles einfacher, wenn wir die Föderation moralisch auf unserer Seite wüssten. Aber ich kann Colonel Kira verstehen. Sie ist ebenso an Gesetze gebunden wie wir das sind.“

Chailleach hob seinen Kopf. „Doch wir sind dabei, die unseren zu verändern. Vielleicht ist es auch für Colonel Kira an der Zeit, dies mit den ihren zu tun.“ Er drehte sich in Admairs Griff und legte ihm beide Hände auf die Schultern. „Lass mich das machen.“

Der Kommandant betrachtete ihn nachdenklich. „Ich möchte nicht, dass du noch irgendjemanden bedrohst, Chailleach. Colonel Kira traut dir ohnehin schon nicht.“

„Das werde ich nicht. Ich verspreche es.“

* * *


Suidhe betrat mit ihrer Chef-Medizinerin den Raum, der den Föderations-Offizieren als Frühstückszimmer diente.

Colonel Kira, Lieutenant Dax, Dr. Bashir und Fähnrich Mondal saßen um den Tisch herum und waren in ein Gespräch vertieft. Ohne Frage berichtete die Bajoranerin ihren Leuten vom Gespräch der gestrigen Nacht und ihrer Entscheidung.

Alle Offiziere trugen zivile Kleidung, wie um zu betonen, dass alles, was sie hier taten, inoffiziell geschah. Es war der Ersten Wissenschaftlerin recht, solange der Arzt ihren Medizinerinnen half. Sie hatte vor Monaten alle Bedenken und Skrupel über Bord geworfen. Sie wusste, dass sie nur dann an ihr Ziel kommen konnte, wenn sie alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzte. Wenn das hieß, dass sie die Hilflose spielen musste, um Mitleid zu erhalten, dann war ihr das ebenso recht wie jede andere Rolle.

Chailleach hatte ihr einen Weg gezeigt, auf dem sie Admair an ihrer Seite behalten konnte, und sie hatte vor, diesen Weg bis zum bitteren Ende zu gehen. Der Kommandant hatte ihr Gewissen und ihre Zweifel übernommen, damit sie frei im Handeln war.

„Guten Morgen“, begrüßte sie die Offiziere mit einem Lächeln. Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu ihnen an den Tisch, ihre Begleiterin tat es ihr gleich. „Darf ich Ihnen Rheat vorstellen, sie ist meine erfahrenste Medizinerin.“

„Guten Morgen“, erwiderte Bashir den Gruß. Er wirkte weit weniger nachdenklich als seine Kollegen. Wissenschaftler waren in erster Linie ihrer Passion verpflichtet, erst danach ihren Regierungen. „Colonel Kira hat uns gerade eben mitgeteilt, dass sie sich dafür entschieden hat, das medizinische Austauschprogramm für die Dauer unseres Aufenthalts zu gestatten. Wenn Sie nach dem Frühstück also Zeit haben ...“

Die Medizinerin lachte. „Das war keine ernsthafte Frage, nicht wahr? Ich bin hoch erfreut, dass Sie uns diese Gelegenheit geben.“ Sie wandte sich an Colonel Kira. „Auch ich möchte mich noch einmal im Namen unserer gesamten Einheit bedanken, dass Sie unserem Verhalten so weit vergeben, dass Sie uns helfen.“

Kira nickte. „Nennen Sie es ein Tauschgeschäft dafür, dass Sie uns helfen, meinen ersten Offizier zu befreien.“

„Das hätten wir auch getan, wenn Sie sich gegen uns entschieden hätten“, erklärte Suidhe ernst. „Wir mögen Ihnen fragwürdig in unseren Zielen erscheinen, doch wir besitzen ein Ehrgefühl.“

„Ich wollte Sie nicht beleidigen.“

„Das haben Sie nicht. Ich denke, ich verstehe Sie besser als Sie denken.“

Kira sah sie nachdenklich an, abwägend, wie viel Wahrheit wohl in den Worten lag. „Haben Sie schon in Erfahrung bringen können, wo sich Commander Benteen und Elgin befinden?“

„Wie wir vermutet haben, sind sie in den Palast gebracht worden.“

„In welcher Verfassung?“

„Sie waren beide bis auf ein paar Wunden unversehrt.“

Kira nahm einen Schluck von ihrem Tee. „Was wird mit ihnen geschehen?“

„Das kann ich nicht sicher sagen.“ Suidhe blickte zu Rheat hinüber. „Es mag verwunderlich klingen, doch wir wissen nicht viel über die höheren Ebenen im Palast. Dass Gefangene gemacht werden, ist eine Seltenheit.“

Die Bajoranerin lachte freudlos. „Sie habe nicht besonders viel Erfahrung mit Revolutionen, richtig?“

Suidhe zuckte mit den Schultern. „Überhaupt keine. Was ich Ihnen von Abriachan erzählt habe, war wahr. Wir hatten keine Bürgerkriege, keine Aufstände, nichts dergleichen. Deswegen umschleichen wir uns jetzt auch so vorsichtig. Die Königin ahnt, dass ich etwas plane, doch sie würde niemals ihre Soldaten gegen meine Einheit entsenden. Ein offener Konflikt wäre undenkbar. Daher bin ich mir auch sicher, dass Commander Benteen nichts geschehen wird. Die Königin wird von ihr erfahren wollen, was los ist, und da Ihre Gefolgsfrau davon keine Ahnung hat, wird dadurch kein Schaden angerichtet.“

„Und was ist mit Ihrem Soldaten?“

„Ich weiß es nicht.“ Suidhe wirkte nachdenklich. „Zwischen den Militäreinheiten gibt es immer wieder kleinere Konflikte, wenn sie in der Stadt aufeinandertreffen.“ Sie lächelte nachsichtig, wie eine Mutter über ihr Kind sprechen würde. „Sie messen ihre Kräfte, wenn sich ihnen die Gelegenheit dazu bietet. Hierbei ist es schon des Öfteren geschehen, dass von der königlichen Leibgarde besiegte Soldaten anderer Einheiten in den Palast gebracht wurden. Keiner von ihnen wurde je wieder gesehen.“

Sie blickte erneut zu Rheat hinüber.

„Es gehen Gerüchte um, dass die Königin sich die Männer ...“, setzte die Medizinerin an.

Kira hob die Hand. „Halt! Wenn das jetzt wieder anfängt, graphisch zu werden ...“

Rheat nickte. „Suidhe hat mir berichtet, dass Sie Ihre Probleme damit haben.“

„Ich bin nicht prüde, wenn es das ist, was Sie meinen“, erklärte Kira gereizt. „Doch ich mag die Art nicht, in welcher Sie über Ihre Männer sprechen, so als ob sie einer anderen Klasse angehören.“

„Aber sie gehören einer anderen ...“

Die Bajoranerin winkte ab. „In Ordnung, ich weiß, das ist Ihr System. Erlauben Sie mir dennoch, damit meine Probleme zu haben.“ Sie seufzte. „Zurück zum Thema: Hatten Sie mir nicht gesagt, dass die Königin nur alle drei Jahre nach einem Mann verlangt?“

„Das ist die offizielle Version, richtig.“ Rheat enthielt sich höflicherweise jeder Anzüglichkeit bei ihren nächsten Worten. „Aber wenn ich die Königin wäre, dann würde mir in der Zeit dazwischen mit Sicherheit langweilig werden.“

Suidhe sah sich am Tisch um. Rheat war eine sehr sinnlich eingestellte Frau und machte daraus keinen Hehl. Die Medizinerin hatte noch nie ein Problem darin gesehen, Männer in ihr Bett zu befehlen. Es war das Bild der Gesellschaft, in welcher sie aufgewachsen war. Die Männer nahmen keinen körperlichen Schaden, wo sollte also das Problem liegen?

Die erste Wissenschaftlerin befürchtete, dass das Verhalten ihrer Ärztin nicht gerade zu einer besseren Beziehung beitrug. Kira musterte Rheat misstrauisch, so als ob sie bei sich überlegte, was die Abriachanerin wohl alles machen würde, um einen Mann unter ihre Kontrolle zu bekommen. Lieutenant Dax’ Blick spiegelte sowohl Interesse als auch Missbilligung wider. In ihr stritten deutlich mehrere Geister. Dr. Bashir hörte interessiert zu, wenn es ihn unangenehm berührte, ließ er es sich nicht anmerken. Das Gesicht Fähnrich Mondals war verschlossen, fast ein wenig feindselig der Medizinerin gegenüber.

„Lassen Sie uns einfach sagen, dass wir davon ausgehen können, dass Commander Benteen nichts geschieht, wir aber keinerlei Anhaltspunkt haben, was mit Elgin passiert“, bemerkte sie in sachlichem Ton. „Unsere Informantin besitzt leider keinen Zugang zu den höheren Ebenen. Sie konnte uns nur mitteilen, dass die beiden gestern Abend gebracht wurden. Was mit ihnen seither geschehen ist, entzieht sich ihrer Kenntnis.“

„Sie spionieren den Palast aus?“ Kiras Gesicht zeigte einen interessierten Zug.

Suidhe lächelte. „Die Königin besitzt ihre Augen und Ohren in jeder Einheit. Natürlich versuchen wir, diesen Vorteil auszugleichen.“

„Das nennen Sie Vertrauen?“

„Von Vertrauen habe ich nie gesprochen. Unsere Gesellschaft funktioniert reibungslos – aber deswegen müssen wir einander nicht vertrauen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie stabil eine Gesellschaft ist, die sich auf gegenseitiges Misstrauen stützt.“

Kira neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Doch, ich fürchte, ich kann es mir vorstellen. Es scheint mir, dass dieses Modell fast überall im Universum praktiziert wurde. Und Sie haben vor, das Misstrauen zu ersetzen durch ... durch was?“

„Im Augenblick wollen wir es einfach nur ersetzen – alles andere wird die Zeit zeigen.“

Die Bajoranerin schüttelte den Kopf. „Das ist nicht sehr durchdacht, doch es soll mir gleichgültig sein, es ist nicht meine Revolution.“ Bevor die Abriachanerin etwas sagen konnte, wechselte sie das Thema. „Gibt es für mich die Möglichkeit, in Kontakt mit der Königin zu treten, um meine Offizierin zurückzufordern und das Missverständnis zu klären?“

Suidhe nickte. „Mein Kommandant wird mit Ihnen die möglichen Vorgehensweisen besprechen, um Commander Benteen zu befreien. Er erwartet Sie in seinem Hauptquartier. Ich werde Sie nach dem Frühstück zu ihm bringen, und mich dann um die wissenschaftliche Seite kümmern.“

„Dann lassen Sie uns das sogleich machen.“ Kira erhob sich. „Julian, ich denke, du bist die nächsten Stunden beschäftigt. Ezri ...?“

„Ich werde Julian unterstützen.“ Es war der Trill anzusehen, dass sie vor allem sicher gehen wollte, dass keine der Frauen ihren Partner mit Freiwild verwechselte.

„Gut.“ Kira nickte. Während sich alle vom Tisch erhoben, nutzte Colonel Kira die entstehende Unaufmerksamkeit, um Mondal beiseite zu nehmen.

„Fähnrich. Ich möchte, dass Sie jederzeit erreichbar bleiben. Ansonsten habe ich momentan keine spezielle Aufgabe für Sie. Das mit dem Protokoll regeln wir später ... ich möchte Sie bitten, sich hier nicht mit Ihren Fähigkeiten zurückzuhalten, und mir alles zu berichten, was Sie erfahren können. Ich möchte nicht, dass die Föderation in einen Putsch hineingezogen wird, und ich bin mir sicher, dass genau das die Abriachaner versuchen werden.“ Sie musterte den jungen Mann. „Ich nehme nicht an, dass Sie Probleme mit diesem Befehl haben?“

„Nein, Sir.“ Mondal nahm kurzzeitig Haltung an.

„Gut.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Wenn wir Pech haben, werden wir uns beide später vor der Admiralität zu verantworten haben.“

* * *


Chailleach nickte denjenigen zu, die den Frühstücksraum verließen. Er selbst hatte nach dem ersten Training mit Admair eine Kleinigkeit gegessen, und wartete jetzt auf seine Chance, das Geschehen wieder in die Richtung zu lenken, die ihm vorschwebte.

Rheat kam in Begleitung von Dr. Bashir und Dax an ihm vorbei, die drei schienen schon jetzt in wissenschaftliche Gespräche vertieft zu sein. Die Medizinerin bemerkte jedoch den jungen Mann, der an der Wand lehnte. Sie zwinkerte ihm zu. Chailleach konnte sich nicht zurückhalten. Wenn es eine Gelegenheit gab, die Föderationsoffiziere zu schockieren, dann musste er sie einfach wahrnehmen. Er lehnte den Kopf gegen die Wand zurück und streckte seinen Körper lasziv. Wie erwartet reagierte Rheat darauf. Sie trat zu ihm, reckte sich gegen ihn und küsste seinen Halsansatz, während ihre Hände über seinen schlanken Körper strichen. Mit einem leisen „Guten Morgen, Geliebter“ löste sie sich wieder von ihm. Ihre Finger strichen keck über seine Lenden, als sie sich zurück zu den beiden Offizieren gesellte.

Chailleach sah mit Genugtuung, dass die Sternenflottenangehörigen sich rasch mit einer Mischung aus Überraschung und Peinlichkeit abwanden, als sein Blick sie traf.

Suidhe, die neben Kira ging, warf ihm einen tadelnden Blick zu, der ihn zu einer höflichen Kopfneigung veranlasste. Als er den Kopf wieder hob, stand nur noch Mondal in der Tür zum Frühstückszimmer. Er betrachtete ihn mit verschränkten Armen.

„Warum machst du das?“

Chailleach lächelte. „Weil ich es kann.“

„Es kann dir doch keinen Spaß machen, von allen Frauen als ... als ...“ Der Fähnrich machte eine ärgerliche Handbewegung, während sich sein Gesicht leicht rötete.

„Bist du eifersüchtig?“ Der junge Soldat stieß sich von der Wand ab und ging zu ihm hinüber.

„Natürlich nicht!“ erwiderte Mondal heftig.

„Gut.“ Chailleach legte ihm den Arm um die Schulter. „Und du hast natürlich recht, es macht mir nicht immer Spaß.“ Er zuckte mit den Achseln. „Ich weiß auch nicht, warum ich das mache ...“

„Man könnte den Eindruck bekommen, dass du nach Anerkennung suchst, aber die hast du doch ohnehin von allen ...“

Der Soldat klopfte ihm auf die Schulter. „Und hier endet die tiefenpsychologische Analyse, in Ordnung? Ich spreche nicht gerne über mich.“

„In Ordnung.“

Chailleach betrachtete den schwarzhaarigen Betazoiden nachdenklich. Seine Wünsche, seine Sehnsüchte, seine Ängste – er war es nicht gewohnt, dass sie einen anderen interessierten. Dieser junge Mann hier war so anders, Chailleach glaubte fast, dass Mondal sich für ihn als Person interessierte und nicht für seine Attraktivität und seine Geschicklichkeit im Kampf. Er konnte nicht vergessen, wie er ihn in den Schlaf gewiegt hatte – ohne etwas von ihm zu wollen. Mondal wusste nicht, was für ein Geschenk er dem Abriachaner damit gemacht hatte.

Chailleach schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, wenn er sentimental wurde. Er war Soldat, er hatte eine Vision und eine Aufgabe zu erfüllen, die nicht danach fragte, was es ihn persönlich kostete. Er hatte sich auch nie darüber beschwert. Wenn etwas getan werden musste, musste einer da sein, der es tat. Es war so einfach – und zugleich so schwierig.

„Meinst du, Colonel Kira lässt dich ein wenig mit mir herumziehen? Da ist etwas, das ich dir gerne zeigen würde.“

„Solange ich auf Abruf bereit stehe, geht das in Ordnung.“ Mondal verwies auf den Kommunikator, der als Brosche an seiner Hemdbrust befestigt war.

„Dann komm.“

Chailleach führte ihn auf den Hof hinaus, eine Straße entlang und näherte sich dann der Einfassungsmauer. Die Soldaten, die dort Wache standen, nickten ihm zu und öffneten das Tor für die beiden jungen Männer.

Außerhalb der Mauern zogen sich breite Straßen zwischen den Einheiten. Abriachanerinnen gingen ihren Beschäftigungen nach, Gleiter waren auf dem Weg zu Betrieben, die außerhalb der Stadt lagen, vereinzelt waren junge Soldaten zu sehen, die noch keiner Einheit angehörten und die zum Training in der Akademie gingen. Es war lauter hier draußen, weniger geordnet als in den Einheiten und weniger sauber.

„Ich möchte, dass du dich nicht zurückhältst mit deinen empathischen Fähigkeiten“, bemerkte Chailleach. „Du sollst das gesamte Rossa kennen lernen.“ Er beschrieb mit seinem Arm einen Bogen. „Hier draußen bewegen sich all die Händler, die in den Einheiten hergestellte Güter gegen Spezialitäten anderer Güter tauschen oder verkaufen. Keine Einheit versorgt sich vollständig selbst. Wir spezialisieren uns auf verschiedene Gebiete und sorgen so untereinander dafür, dass jeder handwerkliche Zweig ausgelastet ist, jedes wissenschaftliche Gebiet, jede künstlerische Sparte. Und wir alle beliefern den Palast der Königin, der weiter im Norden liegt, dafür, dass sie uns die Nachkommen schenkt.“ Chailleachs Stimme hatte trotz der relativ neutralen Erklärung einen leicht zynischen Unterton angenommen.

Mondal blickte sich staunend um. Die Geschäftigkeit in der Straße, in der sie nun standen, ähnelte tatsächlich einer Ameisenstraße, womit Dr. Bashir die Gesellschaftsform auch verglichen hatte.

Der Soldat fasste den Fähnrich am Arm und zog ihn die Straße weiter hinauf und fort von ihrer Einheit. Nach ein paar Kreuzungen gelangten sie an die Mauern einer anderen Einheit, weiter im Norden öffneten sich die Straßen aus allen Richtungen zu einem riesigen überdachten Platz, der vor Geschäftigkeit beinahe überkochte. Hier war das Handelszentrum von Rossa. Auf zwei Etagen wurden Geschäfte abgewickelt.

Mondal brummte der Kopf, so viele Eindrücke stürmten auf ihn ein. Die Promenade auf DS9 wirkte dagegen geradezu verlassen.

Auf den Seiten des großen Platzes wies Chailleach auf Gebäude hin, die als Konzerthallen und Ausstellungsräume dienten, in denen die Künstler der Einheiten mit ihren Schöpfungen in Wettbewerb treten konnten.

Schließlich führte der Soldat Mondal weiter, entfernte sich von der Betriebsamkeit und tauchte ein, in ein Netz aus Seitenstraßen, die nicht an Mauern von Gütern stießen. Hier standen kleine Häuser und Hütten, die einen gepflegten aber ärmlichen Eindruck machten.

„Hier siehst du das Viertel der Soldaten. Derjenigen, die kampfunfähig geworden sind und vor ihren Herrinnen keine Gnade mehr gefunden haben, und Soldaten, die zu alt geworden sind.“ Er sah Mondal an. Die schwarzen Augen des jungen Mannes schienen alles verarbeiten zu wollen, was der Soldat ihm im Schnelldurchlauf zeigte. Chailleach lächelte sanft. Der Betazoide war so offen und unvoreingenommen, es würde richtig sein, ihn hierher zu führen. Ja, er fühlte eine seltsame Verbundenheit zu dem Sternenflotten-Fähnrich. Sie war anders als seine Bindung an Admair. An den Kommandanten band ihn hingebungsvolle Bewunderung und respektvolle Liebe. Mondal dagegen weckte in ihm den kostbaren kleinen Funken der Hoffnung, der Hoffnung, dass er verstand, dass hier vielleicht tatsächlich eine Person war, die seine Bürde teilen konnte, und ihn aus seiner Isolation befreite.

Im Affekt hob er seine Hand und strich mit dem Handrücken über Mondals Hals.

Der Betazoid blickte ihn überrascht an.

„Ich vertraue dir, Daviot. Komm.“

Er nahm den immer noch verwunderten Mondal an der Hand und führte ihn zu einem der Häuser. Dort klopfte er eine rhythmische Folge und rief schließlich: „Ich bin es, Chailleach.“

* * *


Elgin klopfte an die Verbindungstür. Er war hin und her gerissen in seinen Gefühlen der Terranerin gegenüber. Sie waren alleine hier im Palast gefangengesetzt. Niemand von seiner Einheit und keiner von Benteens Leuten war bei ihnen, so war es nach seinem Verständnis seine Aufgabe, sie zu beschützen. Vor allem, da die Frau nur durch die Schuld der Soldaten in diese Lage geraten war. Elgin war von Jugend an darauf trainiert worden, seine zukünftige Herrin und deren Gefolge zu verteidigen. Die Offizierinnen der Sternenflotte waren als Gäste Suidhes nach Abriachan gekommen, und so schloss seine Verteidigung sie automatisch mit ein.

Doch Benteen hatte es sehr deutlich gemacht, was sie davon hielt, wenn er sich, wie er es gewohnt war, in ihrer Nähe aufhielt. Ihre Zurückweisung irritierte ihn. Er wusste, dass er andere Völker nicht an seinem eigenen Verständnis messen durfte, doch es fiel ihm sehr schwer, es nicht zu tun. Solange sie hier waren, abgeschnitten von seiner Einheit, war Benteen faktisch seine Herrin, ob es ihr nun gefiel oder nicht. Zu dem Druck der Verantwortung, die er sich selbst auferlegte, kam noch die gesellschaftliche Erwartung von außen. Was sollten die Königin und ihr Gefolge von einem Soldaten halten, der seinen grundlegendsten Pflichten nicht nachkam?

Sie können reinkommen“, hörte er Benteens Stimme durch die Tür. Sie hatte ihn am Abend zuvor aus dem Zimmer geschickt, nachdem er ihr alles erzählt hatte, was er von Suidhes Plänen wusste. Sie hatte gesagt, dass sie nachdenken müsse, und er hatte den Eindruck gewonnen, dass sie noch schlechter auf ihn zu sprechen war als zuvor. Trotzdem hätte er heute Morgen nicht alleine in seinem Zimmer bleiben können.

Die Terranerin saß, wieder in das apricotfarbene Kleid vom Abend zuvor gekleidet, auf ihrem Bett und machte sich das Haar. Sie besaß sehr langes, gewelltes, kastanienbraunes Haar, welches gelöst völlig die Strenge aus ihrem Gesicht nahm, die sie sonst zur Schau stellte. Elgin hatte das Gefühl, dass sie mit der Uniform auch eine gewisse Last anlegte, und er war froh zu sehen, dass sie sich wieder für das Kleid entschieden hatte.

„Nicht ...“

Benteen sah auf, ihr Mund, der ohnehin immer einen leicht spöttischen Ausdruck zeigte, verzog sich missbilligend. „Kommen Sie mir nicht wieder damit an, dass Sie mir dabei helfen wollen, meine Frisur zu richten.“

Elgin schüttelte den Kopf. „Nein, die Lektion habe ich gelernt. Falls Euch das nicht auch wieder zu unpassend vorkommt, wollte ich Euch bitten, Euer Haar offen zu tragen.“

Sie hielt im Flechten inne. „Wieso das?“

„Ihr habt schönes Haar und es steht Euch ausgesprochen gut, wenn Ihr es lose lasst.“

Sie maß ihn mit ihren Blicken. Sie schien herausfinden zu wollen, welche Absichten er mit seiner Bemerkung bezweckte. Elgin blickte sie offen an, und versuchte ihr verständlich zu machen, dass sie nichts von ihm zu befürchten hatte. Dass sie sich auf einem Planeten befand, auf welchem keine Frau jemals etwas von einem Mann zu befürchten hatte.

„Ich habe schon einmal erwähnt, dass Sie mich irritieren, richtig?“ Sie begann, den Zopf wieder zu lösen.

„Richtig.“

Mit ergebenem Seufzen griff Benteen nach der Bürste und bürstete ihr Haar aus. Als sie sich danach vom Bett erhob, fiel es ihr in langen Wellen über den Rücken.

„Zufrieden?“

Elgin lächelte. Die Terranerin faszinierte ihn. Sie griff mit einer Selbstverständlichkeit nach einer Waffe, die ihm bei Frauen fremd war, und sie hatte sich äußerst geschickt im Schwertkampf-Training angestellt. Sie würde ohne Probleme mit den Soldaten mithalten können, die er auf Suidhes Kampfhof ausbildete. Sie war aufgrund ihrer Herkunft viel eher bereit, ihn als Gleichgestellten anzusehen, als dass die Frauen von Abriachan taten. Darüber hinaus war sie eine ausgesprochen schöne Frau, die sich ihrer Ausstrahlung nicht bewusst schien, und deutlich eine innere Unsicherheit durch äußere Härte und Korrektheit zu überspielen versuchte.

„Ihr seht wunderschön aus, Commander.“ Er hatte es nicht sagen wollen, doch es war ihm über die Lippen gekommen, bevor er darüber nachdenken konnte.

Wie erwartet betrachtete Benteen ihn mit verengten Augen. „Ich möchte Sie nicht beleidigen, Elgin, aber ich muss Sie jetzt doch fragen, ob Sie irgendetwas von mir wollen? Wenn ja, dann nämlich ...“

„Nein.“ Elgin wehrte die Bemerkung vehement ab. „Bitte nehmt meine Bewunderung Euch gegenüber nicht als ungebührlichen Annäherungsversuch. Ich kenne meinen Platz und ich weiß, dass Ihr Euch zu Frauen hingezogen fühlt ...“

„Wie bitte?“

Elgin blickte sie unsicher an. Ihr Tonfall sagte ihr, dass er erneut etwas Falsches geäußert hatte, auch wenn ihm nicht ganz klar war, worin nun wieder sein Fehler bestand. Es war auf Abriachan nicht üblich, aus seinen erotischen Vorlieben ein Hehl zu machen. Sooft die Frauen sich einen der Soldaten ins Bett nahmen, so oft waren sie auch miteinander glücklich. Seine Herrin Suidhe bildete mit ihrer monogamen Liebe zu Admair hier eher die Ausnahme.

„Ich habe Euch mit Colonel Kira in der Krankenstation darüber sprechen hören, als Ihr Admairs Körper bewundert habt ...“

Benteen starrte ihn immer noch an, aber ihr Gesichtsausdruck wurde bei seiner offensichtlichen Verlegenheit freundlicher.

„Können Sie bitte auch annehmen, dass ich von einer Rasse stamme, die darüber nicht so gerne spricht? ... Wenn ich es mir genau überlege: Könnten wir bitte überhaupt alle Gespräche über Privates einstellen und uns darauf konzentrieren, wie wir mit dieser Situation hier umgehen können?“

„Bitte verzeiht mir. Natürlich können wir das.“ Elgin war erleichtert, dass sie nicht wütend wurde. Er nahm in demselben Sessel wie am Abend zuvor Platz. Benteen setzte sich in einen zweiten Sessel.

„Sie werden uns wahrscheinlich irgendwann einmal hier herausholen und befragen, oder?“

„Ich denke schon.“ Elgin strich sich über den Bart. „Die Königin weiß nicht, was unsere Herrin vorhat, doch durch Eure Ankunft auf Abriachan ist sie neugierig geworden. Sie wird von Euch wissen wollen, was vor sich geht.“

„Und wenn ich ihr erzähle, was Sie mir gestern Abend berichtet haben, was wird sie dann machen?“

Elgin überlegte. „Ich weiß es nicht“, antwortete er dann wahrheitsgemäß.

„Was geschieht denn nach den Gesetzen Ihres Volkes mit Aufrührern?“

„Auch das weiß ich nicht. Meines Wissens nach hat sich noch niemand gegen die bestehende Ordnung aufgelehnt.“

* * *


Mondal saß an einem Tisch, hielt einen Becher vor sich und betrachtete immer noch verwundert die Szene, die sich vor ihm abspielte.

Auf Chailleachs Klopfen hatte ihnen ein alter Mann geöffnet, er hatte sie erfreut begrüßt und sie dann mit Getränken versehen und an einen Tisch gesetzt. Daraufhin war er verschwunden, um kurze Zeit darauf wieder zu erscheinen, gefolgt von mehreren Frauen und Männern unterschiedlichen Alters. Ihnen allen schien lediglich eines gemeinsam zu sein: Sie wirkten nicht wie die strahlenden Wesen aus Suidhes Einheit.

Ein kleiner, etwas untersetzter Junge schob sich auf die Bank neben Mondal und griff nach dem Saftkrug. Er sah zu dem Betazoiden auf und lachte ihn an.

Mondal erwiderte das Lachen unwillkürlich. Er half ihm dabei, mit dem schweren Krug einen weiteren Becher zu füllen.

Chailleach war aufgestanden und umarmte ein paar der Neuankömmlinge.

Als sich alle um den Tisch gesetzt hatten, ergriff er das Wort. „Ich habe meinen Freund Daviot heute mitgebracht. Er stammt nicht von hier, sondern von einem weit entfernten Planeten.“ Er sah den Betazoiden aufmunternd an, hob seinen Arm und legte ihn dem anderen auf die Schulter. „Und ich vertraue ihm.“

Der alte Mann, der ihnen geöffnet hatte, nickte. „Dann vertrauen wir ihm ebenfalls.“

„Daviot, das ist Tshertap. Unser Beschützer und Prophet.“

„Du wirst nie aufhören zu übertreiben, Junge.“ Der alte Mann warf ihm einen strengen, jedoch liebevollen Blick zu.

Mondal blickte mit großen Augen von einem zum anderen. „Was ist das hier? Du hattest mir draußen gesagt, dass es bei diesen Häusern um Rückzugsstätten aus dem Dienst getretener Soldaten handelt?“

„Schön formuliert, Junge“, bemerkte Tshertap nicht unhöflich. „Wir sind der Unrat unserer glänzenden Gesellschaft. Die da oben verirren sich nie hierher. Sie schieben ihre Soldaten hierher ab, versorgen uns mit Nahrungsmitteln und vergessen uns ansonsten. Das hat uns die Chance gegeben, eine eigene Gemeinschaft zu bilden.“ Er deutete auf ein paar Frauen und auf den kleinen Jungen neben Mondal. „Hier finden diejenigen Zuflucht, die nicht in das wunderbare Netz unserer königinnengewollten Ordnung passen, Frauen, die an der Universität versagt haben, die sich den Anforderungen unserer Gesellschaft nicht gewachsen sahen – und deren Defekte man dummerweise nicht früh genug erkannt hat.“

„Was soll das heißen?“ Mondal sah sich entsetzt am Tisch um. „Wird hier genetische Auslese betrieben?“

„Genau das heißt es.“ Chailleachs Hand drückte seine Schulter. „Perfektion ist eines unserer obersten Gebote. Wenn die Königin die Embryonen im Alter von zwei Monaten gebiert, dann werden sie in den Brutkästen von einem Stab von Medizinerinnen unzähligen Untersuchungen unterzogen. Wenn sich genetische Unschönheiten entdecken lassen, werden sie nicht weiter versorgt.“

„Das klingt entsetzlich!“

„Es entbehrt aber nicht einer kalten Logik“, warf Tshertap ein. „Du kennst unser System: Der Fortbestand einer gesamten Stadt hängt nur an der Gebärfähigkeit einer Königin. Sie bringt alle zwei Monate 10 bis höchstens 20 Embryonen zur Welt, und sie wird aufgrund dieser Anstrengung nicht sehr alt. Als Resultat davon wachsen unsere Städte nur sehr langsam. Wir können nicht beliebig viele Ressourcen erschließen, weil wir nicht die nötigen Arbeitskräfte zur Verfügung haben. Was wir haben, muss daher möglichst effektiv eingesetzt werden. Und das fängt damit an, dass die Zeit der Kinderfrauen nicht in die Versorgung von Kindern investiert wird, die sich später vielleicht als nicht nützlich für die Stadt entwickeln. Sieh uns nicht so verschreckt an.“ Der alte Mann griff über den Tisch und berührte Mondals Arm. „Das ist die Denkweise eines auf Effektivität bedachten Staatsapparates, nicht die unsere – sonst wären wir gar nicht hier.“

„Tshertap hat es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht, diejenigen aufzufangen, die durch das Netz gefallen sind“, erklärte Chailleach. „Manchmal gelingt es einer königlichen Medizinerin, die mehr Herz als die anderen besitzt, einen Embryo an den genetischen Kontrollen vorbei zu schmuggeln und im Brutkasten bis zur selbstständigen Lebensfähigkeit aufzuziehen. Anschließend bringt Sie den Säugling dann zu Tshertap, damit er leben kann.“ Der Soldat lächelte den anderen am Tisch zu. „Es ist nicht das strahlende Zusammensein wie in den Einheiten, doch es ist Leben. Und es enthält oft mehr Freundlichkeit als ich von dort gewohnt bin.“

„Wir haben das Glück, dass sich bisher weder die Herrinnen noch die Soldaten um uns kümmern“, bemerkte Tshertap.

Mondal sah zu Chailleach. „Wie kommt es dann, dass du ...?“ Seine empathischen Fähigkeiten völlig offen, erhielt er die Antwort, bevor sie ausgesprochen wurde. Seine Augen wurden groß.

„Du bist einer von ihnen? Du?“

Der schlanke, hochgewachsene Mann mit dem beinahe perfekten Gesicht lächelte traurig. „Ironisch, nicht wahr? Ich bin einer der Embryos, die nicht hätten leben dürfen.“

„Du?!“ Es war offensichtlich, dass Mondal diese Neuigkeit nicht ohne weiteres verdaute.

Der alte Mann lachte über die Fassungslosigkeit des Betazoiden. „Manchmal sind es äußerlich ganz offensichtliche genetische Abweichungen vom Idealbild, manchmal betrifft es Merkmale, die sich nicht leicht ausprägen. Wir wissen nicht, nach welchen Kriterien bei der Auswahl der Embryonen vorgegangen wird, und die Frauen, die uns die Kinder bringen, teilen uns das auch nicht mit.“

„Vielleicht leide ich an einer Krankheit, die erst mit dem Älterwerden ausbricht. Ich weiß es nicht.“

„Aber wie bist du dann zu Suidhe gekommen? Wieso hat dich niemand entdeckt? Wie …?“

Mondals Sorge rührte Chailleach. Der Fähnrich malte sich offensichtlich gerade alles aus, was dem Soldaten hätte zustoßen können oder ihm in Zukunft noch zustoßen konnte. „Wenn sich nicht jemand die Mühe macht, mein Genom zu sequenzieren, kann mir nichts passieren“, beruhigte er ihn. „Und diese Mühe macht sich außer den königlichen Medizinerinnen wahrlich niemand. Du hast sie doch sicherlich auch schon sagen hören, dass ich anders sei: Doch sie sagen es nicht auf eine Art, die sie ängstigt, sondern auf eine, die sie fasziniert und anzieht.“ Er lachte ironisch. „Ich gehe mit dir sogar eine Wette ein: Wenn die Behandlung deines Arztes funktioniert und Frauen schwanger werden können, weiß ich, wessen Samen mindestens die Hälfte von Suidhes Einheit für ihr erstes Kind möchte. Ich werde gar nicht mehr hinterher kommen.“

Mondal starrte ihn immer noch an. Dieses Mal aus anderen Gründen.

„Junge, du solltest deinen Freund nicht mit deinen Reden schockieren“, tadelte Tshertap und lächelte dabei Mondal aufmunternd zu. „Wenn wir einen Jungen aufziehen können, der äußerlich den hier herrschenden Normen entspricht, und dessen Kräfte gut genug sind, dann versuchen wir ihn in die Militärakademie einzuschleusen“, beantwortete der alte Mann den Rest von Mondals Frage. „Wir haben Leute, die uns bei der Aufnahme helfen. Chailleach ist der vierte von uns, den wir zum Soldaten haben ausbilden lassen. Wir hatten die Hoffnung, das System irgendwie von innen aushöhlen zu können. Bisher ohne Erfolg.“

„Bis die Königin von Althena Admair erwählt hat“, fuhr Chailleach fort. „Das hat alles geändert und uns die erste reelle Chance gegeben, die wir jemals hatten.“

Mondal verstand. „Du lässt Suidhe einen Kampf kämpfen, der einem ganz anderen Ziel dient als sie das vermutet.“

„Suidhe glaubt, dass wir kämpfen, um Admairs Leben zu retten. Admair wird mitziehen, weil er glaubt, dass es im Grund eher um mein Leben geht ...“

„Doch sie werden deine Revolution starten.“
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