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Ein Leben für Bajor

von unknown sample

Singha

Auch über drei Jahre später fragte sich Kira Taban gelegentlich immer noch, was an ihrem Fluchtversuch damals so falsch gelaufen war. Das claestronische Schiff war am Ende ohne sie abgeflogen. Die fünfundzwanzig Personen ihrer beiden Familien, darunter acht Kinder, hatten es nicht einmal aus Dahkur hinaus geschafft.
Aufgrund Kiras Beziehungen und einiger gut platzierter Litas hatte er zwar für alle Passierscheine besorgen können, die sie als offizielle Pilger zu einer der heiligen Stätten im Norden der Provinz auswies. Der Gul, der diese Genehmigungen unterzeichnet hatte, war einer jener Bürokraten gewesen, der unterzeichnete, was man ihm vorlegte. Sie waren auch so vorsichtig gewesen, nicht allzu viele ihrer Habseligkeiten zusammen zu packen, um nach außen hin nicht den Anschein einer Flucht zu erwecken. Nicht alle Bajoraner standen der Cardassianischen Herrschaft ablehnend gegenüber. Es gab eine ganze Reihe von ihnen, die Nutzen aus der neuen Ordnung zogen, oftmals zum Schaden ihrer bajoranischen Nachbarn. Denunziation war nicht unüblich. Nur mit drei Antigrav-Gleitern und ihren wertvollsten Besitztümern hatten sie sich so schließlich eine Woche nach der Geburt von Nerys in die Richtung der Hauptstadt Bajors aufgemacht.
Nach zwei Tagen auf den Landstraßen Dahkurs waren sie zunehmend auf andere Bajoraner gestoßen, die sich ganz offensichtlich ebenfalls auf der Flucht befunden hatten, ihnen aber entgegen gekommen waren. Da alle öffentlich zugänglichen Informationen durch den Filter Cardassianischer Zensur gingen, hatte bisher niemand, den Kira kannte, von solchen Flüchtlingsströmen gehört. Aus den fremden Bajoranern selbst war sehr wenig heraus zu bekommen gewesen. Sie hatten sich wortkarg gegeben und waren ganz offensichtlich auch arm sowie ungebildet. Narim Los hatte sie als dumme Bauern abgetan und geraten, diese Leute nicht weiter zu beachten. Kira hingegen hatte sich besorgt gefragt, wieso Bauern von ihren Farmen flohen, wo sie durch die Cardassianer doch sicher als nützliche Arbeiter geschätzt wurden.
Am Ende des zweiten Tages waren sie schließlich mitten auf einer staubigen Landstraße von einer schwerbewaffneten Cardassianischen Einheit gestoppt worden. Es waren junge, unnachgiebige Gesichter gewesen, in die sie geblickt hatten. Die Soldaten hatten sich nicht für ihre Passierscheine interessiert. Sie hatten auch Kira Taban nicht einmal ausreden lassen, sondern seinen Protest kurzerhand mit dem Schlag eines Gewehrkolbens in seine Körpermitte beendet. Danach hatten sie auch Meru brutal niedergeschlagen, als diese ihrem Mann zu Hilfe hatte kommen wollen.
Danach…danach waren sie hier gelandet.
Kira Taban atmete tief durch, öffnete die Augen und sah sich traurig um, wie er es immer wieder getan hatte, wenn ihn der Kummer über sein und das Schicksal seiner Familie zu überwältigen drohte. Hier, das war das Singha-Flüchtlingslager in das man sie gebracht hatte, nachdem der Flucht auf der Landstraße ein so abruptes Ende bereitet worden war. Auch wenn der hochtrabende Name dieses Ortes Flüchtlingslager lautete, so war es nichts anderes als ein Gefängnis besonderer Art. Man hatte ihnen ihre gesamten Habseligkeiten außer ein bisschen Kleidung und Kochgeschirr weggenommen. Sorgsam katalogisiert durch eine Lagerverwaltung waren derzeit vielleicht dreitausend Bajoraner in Singha untergebracht. Alle von ihnen waren Flüchtlinge die, so die offizielle Version der Cardassianer, durch Korruption der herrschenden bajoranischen Klassen ihre Existenzgrundlage verloren und deshalb ihre Heimat hatten verlassen müssen. Man würde ihre Papiere prüfen und sie dann in ihre Heimatorte zurückschicken. Da Bevölkerungswanderungen diesen Ausmaßes für Unruhe sorgten und nicht geduldet werden konnten. Weil sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdeten. Ihr Aufenthalt in Singha sei deshalb nur eine wegen der Umstände erforderliche, vorübergehende Maßnahme, hatten die Cardassianer gesagt.
Eine vorübergehende Maßnahme, die in ihrem Fall nun schon drei Jahre andauerte, dachte Taban bitter. Seine Erfahrung war, niemand verließ das Singha-Flüchtlingslager, höchstens um beerdigt oder unter Waffengewalt durch die Cardassianer abgeholt zu werden. Kein Bajoraner wagte nachzuforschen, wohin man diese Unglücklichen brachte und warum.
Wieder einmal fragte sich Taban, ob es seinerzeit nicht doch eine Möglichkeit gegeben hätte, sich der Cardassianischen Patrouille zu widersetzen. Es war nur eine Handvoll junger Soldaten gegenüber einer ganzen Gruppe Bajoraner gewesen. Doch Widerstand hätte sicher unweigerlich zu Gewalt geführt. Er hatte die Frauen und Kinder in ihrer Mitte nicht gefährden wollen. Und doch…manchmal wälzte Taban diese Gedanken wieder und wieder in seinem Kopf herum wie in einem unendlichen Kreis. Es hätte eine Alternative zu diesem Flüchtlingslager geben müssen. Er hätte die Cardassianer einfach überzeugen müssen, sie friedlich weiter ziehen zu lassen. Doch er hatte weder die richtigen Worte gefunden, noch den Mut zur Gegenwehr aufgebracht.
Die Cardassianer hatten das Flüchtlingslager in einem karstigen und inzwischen ausgetrockneten Höhlensystem unterhalb der eigentlichen Hochebene von Singha eingerichtet. Tageslicht fiel nur an den Stellen in die Höhlen hinunter, wo Regenwasser über Jahrmillionen trichterförmige Krater im Sandstein ausgewaschen hatte. Ansonsten wurde dieser trostlose Ort, der bereits im Geheimen seit zwei Jahren existierte, nur durch vereinzelte Öllampen erhellt, die die Cardassianer nach Gutdünken mit Brennstoff versorgten. In den engen Gängen, durch die Taban jetzt schritt, war es kalt und schmutzig. An zahllosen Feuern hockten Bajoraner und versuchten durch an Seilen aufgespannten Stoffbahnen zwischen den einzelnen Familiengruppen wenigstens den Eindruck von Privatsphäre zu vermitteln. Taban nahm die ausgemergelten, niedergeschlagenen Gesichter seiner Landsleute nicht mehr bewusst zur Kenntnis. Viele hatten sich in elende Decken gehüllt. Fast an allen Feuern wurde gehustet. Da und dort weinte ein Kind. Taban seufzte. Wenn es so etwas wie eine bajoranische Hölle gab, dachte er bei sich, dann musste so deren Vorhof aussehen.
Dabei hatte auch er, wie praktisch alle Neuankömmling in Singha, zunächst versucht, durch die Höhlenausgänge das Lager wieder zu verlassen. Aber nur um festzustellen, dass cardassianische Wachen in großer Anzahl vorhanden waren, um Absichten wie die seine zu vereiteln. Bewegten sich die Cardassianer innerhalb des Lagers taten sie dies immer nur in Gruppen und schwer bewaffnet. Es war besser, ihnen sofort aus dem Weg zu gehen, wollte man nicht Gefahr laufen, zusammen geschlagen zu werden. Oder Schlimmeres. Neben der entwürdigenden Behandlung durch die Löffelköpfe, wie die Cardassianer hier in Singha unter vorgehaltener Hand genannt wurden, war Hunger in diesen Tagen ihr vielleicht größter Feind. Nahrung und Wasser ließ die Lagerverwaltung einmal am Tag an zwei zentralen Plätzen ausgeben. Dabei war die Schlange der wartenden Bajoraner immer zu lang und die Rationen zu spärlich bemessen, als dass alle tatsächlich jeden Tag eine Mahlzeit erhielten.
Taban umrundete eine weitere Ecke und gelangte in einen anderen Gang, in dem mindestens zehn Lagerfeuer brannten. Deren Rauch machte die Luft ungesund und stickig, wie überall in dem Labyrinth. Tabans suchender Blick überflog die Bajoraner, die an den ersten beiden Feuern hockten, und blieb dann schließlich am dritten Feuer an einer kleinen Gestalt hängen. Ein Kind stand vor einem bulligen Bajoraner, der im Sitzen gerade so groß war, wie es selbst. Es drehte Taban dabei den Rücken zu. Mit ein paar schnellen Schritten war er augenblicklich bei den beiden und legte dem Kind die Hand auf die Schulter. Es zuckte zusammen und fuhr herum.
„Was machst du hier, Nerys?"
Große dunkelbraune Augen aus dem schmalen, vom Hunger gezeichneten Gesicht seiner Tochter sahen ihn erschrocken an. „Ich...ich...", stammelte die Dreijährige und öffnete dann verschämt ihre kleinen Hände, in denen sie zwei unreife Mobas verborgen hatte. Sie sah auf die Früchte und dann wieder hoch zu ihrem Vater. Taban runzelte die Stirn, während sich sein Herz schmerzvoll zusammenzog. Was war er nur für ein Vater, dass seine einzige Tochter weglaufen musste, um Fremde nach etwas Essbarem anzubetteln? In Erkenntnis des eigenen Versagens nahm er Nerys sanft die Früchte aus der Hand und streckte sie dem fremden Bajoraner entgegen, der die Szene aufmerksam verfolgt hatte.
„Vielen Dank für Ihre Großzügigkeit, aber meine Tochter braucht keine Almosen."
„Ihr Stolz in allen Ehren, aber wenn ich mir Ihre Tochter so ansehe, glaube ich Ihnen kein Wort."
„Wie können Sie es wagen..."
Der bullige Bajoraner brachte Taban mit einem einzigen finsteren Blick zum Schweigen, dann nahm er ihm die Früchte aus der Hand und legte sie wieder in Nerys´ Hände zurück. „Sie gehören dir, Kleine, wie ich gesagt habe. Du darfst aber nicht wieder weglaufen, sodass sich deine Eltern Sorgen machen?"
Nerys´ Finger schlossen sich erneut um das Geschenk und sie nickte verschämt. Erst jetzt wendete sich der Fremde wieder an Taban. „Seien Sie nicht so streng mit ihr! Sie ist ein wirklich aufgewecktes kleines Ding. Und sie hat auch nicht gebettelt. Aber ich habe gesehen, wie sie hier herumgelungert ist, als ich die Früchte ausgepackt habe." Er deutete auf eine ganze Kiste weiterer Mobas, die auf der anderen Seite des Feuers stand, und um die sich andere Bajoraner bereits drängten. „Mein Bruder ist einer der bajoranischen Hilfsaufseher für die Rationen. Manchmal fällt da für uns zusätzlich etwas ab." Er zuckte beinahe entschuldigend die Achseln. „Wissen Sie, ich hatte auch einmal eine Tochter in dem Alter."
Tabans Augen weiteten sich, als ihm die wahrscheinlich schreckliche Bedeutung hinter den Worten des Fremden aufzugehen begann.
„Passen Sie gut auf Ihre Tochter auf, mein Freund", sagte der Mann und lächelte dann schwach. „Und schicken Sie sie morgen wieder her. Nichts für ungut. Mögen die Propheten mit Ihnen sein!" Dann stand er auf und ließ die beiden einfach stehen. Einen Moment starrte Taban ihm nach, dann hob er Nerys auf seine Arme und begann schweigend den Weg zurück zu laufen, den er auf seiner Suche nach ihr genommen hatte.
Während er ausschritt und ab und zu auf das rotgelockte Köpfchen seiner Tochter starrte, das an seine Schulter gelehnt war, dachte er über den Fremden nach. Gab es an diesem Ort doch noch so etwas wie Mitgefühl? Hatte er selbst beinahe schon vergessen, dass die Propheten sich auch hier ihrer Kinder annahmen? Taban wurde sich bewusst, dass er schon zu lange nicht mehr an die Güte der Propheten glaubte. Jetzt, so war er sich sicher, hatten ihm die Propheten eine kleine Lektion erteilt.
Sein kurzzeitig neu gewonnenes Vertrauen geriet jedoch bereits wieder ins Wanken, als er den Abschnitt der Höhlen erreichte, in welchem seine Familie ein Unterkommen gefunden hatte. Meru, auf dem Arm einen Säugling, hantierte an einem Kochtopf über dem Feuer. Dieser Anblick versetzte ihm jedes Mal einen Stich und diesmal war es nicht anders. Meru hatte kurz nachdem sie nach Singha verschleppt worden waren, wieder ein Kind empfangen. Reon, ihr erster Sohn. Vor fünf Monaten war nun ihr zweiter Sohn geboren worden. Die Freude über ein weiteres Kind war beinahe zu Nichte gemacht worden, weil Meru eine erneute Schwangerschaft unter den Bedingungen dieses Lagerlebens überstehen musste. Und wenn sie auch einem zweiten gesunden Jungen das Leben geschenkt hatte, konnte er doch in ihrem hohlwangigen Gesicht die Entbehrungen ablesen, die das kleine Geschöpft ihr abverlangt hatte. Ihr immer noch abverlangte. Die Milch, die sie ihm seit seiner Geburt gab, schien einen Teil ihrer Lebenskraft aufzusaugen. Genau wie die entstellende Narbe in ihrem ansonsten schönen Gesicht, die sie von dem Schlag des Cardassianers bei ihrer Festnahme zurückbehalten hatte.
Es wollte Taban einfach nicht gelingen, seiner Familie genug Nahrung zu besorgen, damit Meru endlich wieder zu Kräften kam. Ihr langes rotblondes Haar war strähnig, ihre Kleidung nur noch wenig mehr als schmutzige Lumpen. Wenigstens war niemand in seiner Familie ernsthaft krank, wie so viele hier in Singha. Das Husten, das immer und überall allgegenwärtig zu sein schien, ließ ihn zu der Überzeugung gelangen, dass er nach wie vor nicht undankbar gegenüber den Propheten sein sollte. Es hätte noch schlimmer sein können. Ein schwacher Trost, aber dennoch...
„Meru, ich habe Nerys gefunden", rief er jetzt laut und seine Frau richtete sich auf und sah ihm entgegen.
„Den Propheten sei Dank! Wo war sie?"
Taban setzte Nerys ab, die sofort zu ihrer Mutter hinüber lief und sich an deren Röcke schmiegte. Reon krabbelte von einer der beiden provisorischen Liegen herunter und lief auf Taban zu, um sich an die Beine seines Vaters zu klammern. Taban strich ihm unbewusst über den braunen Schopf seiner Haare.
„Sie ist herumgelaufen und hat um Essen gebettelt."
„Nerys!" Meru setzte sich mit dem Säugling auf das weitere Feldbett und sah ihre Tochter an. Eigentlich hätte sie Nerys wegen ihres Ungehorsams ausschimpfen sollen, aber der offensichtliche Hunger in den Augen ihrer zarten Tochter verschloss ihr den Mund. Nerys lief nicht weg, um ihre Mutter zu ängstigen, sondern einfach, weil diese sie nicht satt bekommen konnte.
„Ich habe zwei Mobas", sagte das Mädchen leise und hob die Hand, um die beiden Früchte zu zeigen.
„Komm her, Süße", erwiderte Meru deshalb nur liebevoll und klopfte mit ihrer freien Hand auf die leere Sitzfläche des Feldbettes neben sich. „Hierher, zu mir!"
Ihre Tochter kletterte neben sie auf das Bett und Meru strich ihr eine Strähne des zerwühlten, rötlichen Haares aus der Stirn. Dann blickte sie Meru an und lächelte, während sie die Mobas zwischen sich und ihre Mutter auf das Bett legt. „Sie sind für dich!"
„Oh, Schatz!"
Währenddessen hatte sich Taban über den Topf gebeugt, der über dem offenen Feuer brodelte. „Ist das das gesamte Essen?" fragte er unwirsch. „Das ist ja nicht einmal eine halbe Ration!" Kira schwenkte den spärlichen Rest einer zu dünnen Suppe in dem Topf. Die Ausbeute eines ganzen Tages Anstehen seiner Frau bei der Essensausgabe, während er nach Nerys gesucht hatte.
„Sie haben unsere Rationen erneut gekürzt."
„Wie stellen die sich vor, dass wir davon leben sollen? Das ist einfach nicht genug für zwei Erwachsene und zwei Kinder!“
Ganz zu schweigen von einer Frau, die zusätzlich auch noch einen Säugling stillen muss, fügte er in Gedanken hinzu und fühlte Wut in sich aufsteigen. „Du hättest auf mehr bestehen müssen!" Seine Verzweiflung richtete sich im Moment gegen Meru, auch wenn sie eigentlich nur gegen sich selbst gerichtet war. Weil er sich wieder einmal als unfähig erwiesen hatte, sein Familie zu versorgen.
„Den Löffelköpfen ist es egal, ob wir verhungern oder nicht", erwiderte seine Frau ruhig. „Erst wenn wir alle tot sind, werden sie wahrscheinlich zufrieden sein." Sie verstand den Gefühlsausbruch ihres Mannes besser, als er selbst ahnte. Taban war früher niemals zornig oder ungerecht gewesen. Weder zu ihr, noch anfangs zu den Kindern. Aber er weigerte sich beharrlich die Realitäten zu erkennen, seit sie hierhergekommen waren und verlor in letzter Zeit immer öfter die Beherrschung. Es musste unendlich schwer für ihn sein, seiner Familie nicht helfen zu können. Als sie seine Frau geworden war, hatte er ihr ein angenehmes Leben versprochen und jetzt war dies die Wirklichkeit geworden. In jüngster Zeit fragte sie sich immer häufiger, wie sie ihm begreiflich machen konnte, dass sie ihm nicht die Schuld für ihre Lage gab. Sie hatte ihre aufrichtige Liebe für ihn niemals davon abhängig gemacht, was er ihr materiell zu bieten vermochte. Denn sie liebte ihn um seiner selbst willen. Den sonst so sanftmütigen Idealisten, der in allen und allem das Gute zu entdecken vermocht hatte. Aber sie wusste auch, wenn Taban in dieser Stimmung war, würde er keinem ihrer gut gemeinten Worte Gehör schenken. Wenn er bereit ist, dachte sie bei sich, werde ich mit ihm sprechen. Bald.
„Komm her, Liebling", sagte sie deshalb nur und winkte Reon. „Iss´ etwas von der Suppe." Sie stand auf und nahm den Topf vom Feuer.
In diesem Moment wurde der trennende Vorhang zu dem Rest der Höhle einfach beiseite gehoben und zwei schmutzige Bajoraner traten an das Lager. Meru hatte die beiden Männer noch nie in diesem Abschnitt der Gänge gesehen, aber sie schrak augenblicklich angesichts der finsteren Mienen zusammen.
„Verzeihen Sie", sagte der vordere der beiden Männer, wobei er ein zahnloses Grinsen zeigte und auf den Topf in Merus Hand zeigte. „Aber ich glaube, diese Suppe gehört uns!"
Taban fuhr herum und stand augenblicklich den beiden Fremden unmittelbar gegenüber. Der Sprecher machte gerade einen Schritt auf seine Frau zu, um ihr den Topf zu entreißen.
„Was soll das heißen? Meine Frau hat sich für diese Suppe den ganzen Tag angestellt! Sie können nicht einfach..."
Der zweite Bajoraner machte nun ebenfalls einen Schritt nach vorne und ohne, dass Taban den Satz noch hatte beenden können, lag die Schneide eines scharfen Messers an seiner Kehle. Taban verstummte augenblicklich, während sich seine Augen vor Entsetzen weiteten. Auch Meru starrte entgeistert auf die Waffe, genau wie die beiden älteren Kinder. In letzter Zeit kam es häufiger zum Streit um die knappen Vorräte. Aber diese Zwischenfälle ereigneten sich stets bei der Essensausgabe. Niemals war es vorgekommen, dass die Übergriffe an den Feuern stattgefunden hatten. Die offensichtliche Brutalität, die die beiden Fremden an den Tag legten, ließ Meru erschauern. Taban war zwar kein kämpferischer Mann, aber sie fürchtete, der Fremde mit dem Messer würde seine unausgesprochene Drohung möglicherweise dennoch wahr machen.
„Was heißt hier einfach?" Der Bajoraner mit dem Messer rückte noch enger an Taban heran, so dass dieser mit dem Messer an seiner Kehle weiter nach hinten zurück gedrängt wurde. Obwohl Taban die Fäuste unwillkürlich ballte, stand er dennoch stocksteif da und wagte kaum zu atmen.
Meru schob sich vorsichtig, den Säugling immer noch auf den Arm, Nerys an der Hand, nach vorn. „Bitte! Die Suppe ist doch nur für die Kinder. Sie haben Hunger." Sie sah in den Augen der beiden Fremden, dass denen das völlig egal war.
„Genau wie wir. Wir haben alle Hunger!"
„Da haben Sie Recht", ertönte in diesem Moment eine Stimme hinter dem Vorhang und eine Hand hob ihn sogleich beiseite, während eine Bajoranerin in den Lichtschein des Feuers trat. Meru kannte die Frau genauso wenig wie die beiden Angreifer. Sie war einen guten Kopf größer als Meru und trug ihr langes Haar in einer eingeschlagenen Welle, wie Merus längst verstorbene Mutter es zu tragen gepflegt hatte. Bis auf die Kleidung, die genauso alt und abgetragen wie ihre eigene war, erinnerte sie die Fremde überhaupt stark an ihre Mutter.
„Wir haben alle Hunger", bestätigte die Frau nochmals mit Nachdruck, während ihre Augen die Merus fanden und etwas wie Beruhigung verströmten. Dann wandte sich ihre Aufmerksamkeit wieder ungeteilt den beiden Angreifern zu. „Hunger ist aber ein schlechter Ratgeber und verführt uns dazu, sehr dumme Dinge zu tun!"
Der Mann, der nach dem Topf hatte greifen wollen, drehte sich nun um und maß die Bajoranerin vom Kopf bis zu den Füßen. „Sie sprechen wohl gerade von sich selbst. Halten Sie sich hier raus!"
Die Frau ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und kam noch näher, während ein paar andere Bajoraner von den Nachbarfeuern neugierig, aber ansonsten völlig passiv, die Hälse reckten.
„Die Cardis sind unsere Feinde. Was halten Sie davon, die anzugreifen? Wir sollten uns dagegen lieber gegenseitig helfen, was meinen Sie?"
Auch der Bajoraner, der Taban das Messer an die Kehle hielt, drehte jetzt den Kopf und sah die Frau spöttisch an. „Sie haben es ins Schwarze getroffen, Lady! Wir helfen uns mit der Suppe nämlich jetzt gerade selbst."
Für den anderen Mann schien die Sache damit erledigt zu sein, denn er wendete sich von ihr ab und bewegte sich erneut auf Meru zu, die noch immer den Topf ängstlich umklammert hielt. Ehe Meru etwas unternehmen oder der Fremde das Gefäß ergreifen konnte, packte die Fremde ihn jedoch unvermittelt an der Schulter und riss ihn herum. „He! Sie haben mir wohl eben nicht richtig zugehört! Das ist nicht Ihre Suppe!"
Der Mann war einen Augenblick zu überrascht, um reagieren zu können und starrte die Hand der Frau auf seiner Schulter ungläubig an. Dann war der Moment vorbei und er hatte sich wieder gefasst. Er wirbelte herum und schrie die Fremde an. „Kümmern Sie sich doch um die Löffelköpfe! Wir machen das nicht! Und wir nehmen auch ganz bestimmt keine Befehle von Ihnen an!" Zugleich nickte er seinem Kumpanen in ihrem Rücken zu, der Taban noch immer mit dem Messer bedrohte.
Meru wollte der fremden Frau eine Warnung zurufen, als sie sah, wie der andere Angreifer ihren Mann urplötzlich los ließ und die Klinge in Richtung des Rückens der Frau schwang, doch er war nicht schnell genug. Auf unerklärliche Weise war die Fremde instinktiv schneller und duckte sich, während sie sich umwandte und die Waffe harmlos die leere Luft in einem Halbkreis über ihr durchschnitt.
Ehe der Bajoraner mit der Messerhand zum zweiten Mal ausholen konnte, kam die Fremde bereits wieder hoch und blockte die erneue Attacke mit ihrem linken Unterarm gekonnt ab, um ihn zugleich mit der rechten Faust hart am Kinn zu treffen. Ihr Angreifer taumelte augenblicklich zurück. Gleichzeitig ergriff die Frau den ersten Mann hinter sich und schleuderte ihn gegen den Messermann, sodass beide gleichzeitig zu Boden gingen. Ehe Taban und Meru - oder auch die beiden Angreifer selbst - das Geschehene realisieren konnten, hatte die Frau schon das am Boden liegende Messer ergriffen und richtete es auf die beiden Angreifer. Meru sah unglaubliche Entschlossenheit, gepaart mit einer Spur Wildheit, in den Augen der Fremden funkeln, als sie die blanke Klinge in Richtung der Männer hielt. Irgendwie wusste Meru aus der Art und Weise, wie die Frau da stand und die Waffe hielt, dass sie willens und in der Lage war, damit auch im Notfall zu töten. Die beiden Angreifer schienen das auch zu glauben, denn als sie sich aufrappelten, ergriffen sie augenblicklich die Flucht und verschwanden hinter den Stoffbahnen.
Die Fremde wartete noch einen Augenblick, dann entspannte sich ihr Körper sichtbar und sie richtete sich auf, während sie das Messer beinahe beiläufig in ihren Gürtel steckte. Ihr Gesicht zeigte bereits wieder jene ruhige Gelassenheit, die Meru ganz am Anfang der Konfrontation bei ihr wahr genommen hatte. Ein paar der Nachbarn im Hintergrund tuschelten über die Schnelligkeit und Endgültigkeit des Kampfes, ehe sie sich wieder ihren eigenen Tätigkeiten zuwandten.
„Danke!" sagte Taban mit zitternder Stimme und verneigte sich vor der Fremden. Meru trat ebenfalls näher. „Ja, danke! Leider haben wir nur ein wenig Suppe, um uns für Ihre Freundlichkeit zu revanchieren."
Die Frau sah die Beiden an und schüttelte dann leicht den Kopf. „Das ist nicht nötig. Ich bin nicht hungrig."
„Ich habe hier noch nie einen Bajoraner getroffen, der nicht hungrig war."
Die Fremde betrachtete Meru und ein Ausdruck huschte über ihr Gesicht, als habe sie deren Bemerkung unangenehm berührt. Fast, als hätte ich sie bei etwas ertappt, dachte Meru. Sie streckte die Hand aus und berührte den Arm der Fremden.
„Mein Name ist Kira Meru."
„Ich...bin erfreut, dass ich helfen konnte."
„Bitte begrüßen Sie auch meinen Ehemann, Kira Taban." Meru lächelte und winkte dann ihren Kindern. „Mein Zweitgeborener, Reon." Sie deutete auf den schlafenden Säugling in ihrer Armbeuge. „Das ist Pohl. Und das ist unsere Tochter Nerys." Sie zog das kleine Mädchen an der Hand an ihre Seite nach vorne, das den Kopf hob und die Fremde neugierig anstarrte.
Die Frau betrachte die Kinder der Reihe nach interessiert mit einem durchdringenden Blick, der zuletzt lange auf dem Mädchen verweilte, ehe die Frau wieder Meru in die Augen blickte.
„Sie sind reizend!"
„Mami, Mami!" Die kleine Nerys wendete den Blick kurz von der Fremden ab und zupfte ihrer Mutter dann energisch am Ärmel, bis diese sich zu ihr hinab beugte.
„Was ist denn, Liebling?" Nerys flüsterte ihrer Mutter etwas ins Ohr, worauf diese die Stirn runzelte und sich dann wieder aufrichtete.
„Sie möchte Ihren Namen wissen", sagte Meru fast entschuldigend. Ihr selbst war gar nicht aufgefallen, dass ihre unbekannte Helferin ihren eigenen Namen noch nicht genannt hatte. Anders Nerys. Das kleine Mädchen hatte die Fremde unablässig und fasziniert beobachtet, seit sie sich eingemischt hatte. Für Nerys war die Fremde unglaublich alt, älter sogar als ihre Mutter. Aber irgendetwas zog das Kind zu dieser fremden Frau. Ein Gefühl ungeheurer Vertrautheit. Als die Frau mit den bösen Männern gekämpft hatte, waren bei Nerys noch Erstaunen und Bewunderung dazu gekommen. In ihrem kindlichen Gemüt war ein Gedanke aufgeblitzt, dass sie irgendwann einmal so sein wollte, wie diese Frau.
„Mein...", Die Frau öffnete den Mund und starrte auf das Mädchen hinunter, das sie mit großen Augen beobachtete und schloss ihn wieder. Sie schien einen Moment unschlüssig, wie sie die Frage beantworten sollte. Dann ging sie in die Hocke, bis sie mit Nerys Auge in Auge war. Mit ungeheuerlicher Zärtlichkeit sah die Fremde das Kind an.
„Ich bin Luma Rahl", sagte sie schließlich, griff vorsichtig nach der dünnen Hand des Mädchens und drückte sie sanft. „Freut mich, dich kennen zu lernen, Nerys!"
Das Kind starrte in die dunklen Augen der Fremden, die genauso dunkel waren, wie ihre eigenen. Einem plötzlichen Impuls folgend, wollte sie ihre Hand von der Berührung mit der Fremden zurück ziehen. Aber irgendwie wusste sie, dass das nicht nötig war. Diese Frau war ihr so vertraut. Nerys fühlte, wie ihr kleines Herz auf einmal vor Freude klopfte und der Blick zwischen der Frau und ihr eine Brücke schlug zwischen Raum und Zeit, die nicht ihren Verstand, aber ihr Herz berührte.


Vedek Opaka durchschritt leichtfüßig die üppige Vegetation des Gartens, der das Kloster umgab, ohne auf die herrlichen Pflanzen rechts und links des Weges zu achten. Da sie nicht die Hauptwege benutzte, gelang es der jungen Frau problemlos ungesehen nahe an die Stelle heran zu kommen, wo Kai Shesa mit zwei cardassianischen Würdenträgern sprach.
Opaka verharrte in ihren Schritten und bog vorsichtig die Blätter eines bajoranischen Flammenbaumes zur Seite, um möglichst ungehinderte Sicht auf die Szenerie zu haben, ohne selbst entdeckt zu werden. Kai Shesa saß in seinem prunkvollen Gewand aus weißem und goldenem Damast auf einer steinernen Parkbank, während seine Besucher vor ihm standen. Trotz des milden Abendlichtes, welches durch die hohen Baumkronen gefiltert bis zum Boden herabfiel, erschien der Kai blass und erschöpft. Opaka richtete ihr Augenmerk auf die beiden Cardassianer, die heftig auf den Kai einsprachen, welcher immer mehr in sich zusammenzusacken schien. Leider war es ihr nicht möglich zu verstehen, was gesagt wurde. Jetzt nickten die Cardassianer dem Kai knapp zu, machten auf ihren Absätzen kehrt und marschierten davon. Shesa schloss die Augen und vergrub dann sein Gesicht in den Händen. Opaka fand, dass er plötzlich um eine Dekade gealtert wirkte. Sie schlüpfte aus ihrem Versteck zwischen den Büschen und lief zur Parkbank hinüber, während sie sich vergewisserte, dass die beiden Fremden auch wirklich gegangen waren.
Der Kai öffnete die Augen, als er das Rascheln Opakas Roben hörte und ein Lächeln huschte über seine alternden Züge.
„Meine Tochter Sulan bringt die Sonne in diesen dunklen Tag und in mein trauriges Herz zurück." Gleichzeitig forderte er sie mit einer Handbewegung auf, neben ihm Platz zu nehmen.
Opaka raffte ihr Gewand und setzte sich. Eine ganze Zeit lang saßen sie schweigend nebeneinander, während Vögel in den Bäumen sangen und irgendwo ein unsichtbarer Bach plätscherte. Dann war es Opaka, die das Schweigen brach.
„Wieso empfangt Ihr die Usurpatoren unserer Welt, die nur Elend und Leid über das Volk der Propheten bringen?"
„Du musst noch einiges lernen, meine Tochter", erwiderte der Kai milde. „Du weißt noch nicht viel über Macht und die, die sie ausüben. Im Kloster hat man dich Demut und Weisheit gelehrt. Erst das Leben außerhalb der Klostermauern wird dir auch beibringen, dass diese Tugenden nicht alle beherrschen, und dass gerade der Demütige weise sein muss. Es mag uns nicht gefallen, wie die derzeit Dinge stehen, aber wir müssen anerkennen, dass es die Cardassianer sind, die unseren Planeten beherrschen."
„Aber wenn der Kai - Ihr, Eminenz - mit ihnen verhandelt, könnte da das Volk nicht glauben, Ihr unterstützt die Cardassianer?" Opaka wusste, es mochte ungehörig und respektlos sein, als eine gerade erst kurz berufene Vedek die Handlungsweisen des Kai in Frage zu stellen. Aber sie war schon sehr lange Shesas Lieblingsschülerin und er hatte sie in der Vergangenheit stets ermutigt, ihren Standpunkt zu vertreten.
„Vielleicht glauben viele im Volk das", der Kai schien die Kritik gar nicht bemerkt zu haben. „In gewisser Weise trifft diese Einschätzung sogar zu. Aber die Nachrichten über Unruhen in den Flüchtlingslagern und in mehreren Provinzen häufen sich. Außerdem gibt es Gerüchte, dass der Unmut über die Zustände auf Bajor angeheizt wird von solchen, die von außerhalb dieses Systems stammen und das Cardassianische Reich dadurch zu schwächen suchen. Wir steuern auf eine Krise zu, Sulan, weil unser Volk hungert und sich unter dem Joch der fremden Herren aufzubäumen beginnt. Jetzt hat es sogar schon den ersten toten Cardassianer auf Bajor gegeben."
Opaka erbleichte. „Wo?"
„In Relliketh, ganz hier in der Nähe. Ein paar junge Männer haben eine cardassianische Wache mit Knüppeln erschlagen, als diese eine Wasserlieferung für das Lager nicht passieren lassen wollte." Die Stimme des Kai nahm Grabestiefe an. „Gul Dukat hat dafür zweihundert Bajoraner in diesem Lager hinrichten lassen."
„Wie schrecklich!"
„Ich habe meine beiden Besucher eben gebeten, nein angefleht, die Lager aufzulösen und unseren Leuten zu gestatten, wieder nach Hause zu gehen. Oder denen, die das wollen, zu erlauben, Bajor zu verlassen. Sie haben mich ausgelacht!" Der Kai schloss kurz die Augen und seufzte. „Stattdessen werden sie ihre Truppen verstärken. Überall. Sie haben mir zu verstehen gegeben, dass unsere einzige Aufgabe darin besteht, dem Cardassianischen Reich zu dienen. Ungehorsam werden sie mit brutaler Gewalt zu brechen wissen. Deshalb waren sie hier. Sie haben verlangt, dass ich zum Volk spreche und es auffordere, Ruhe und Disziplin zu bewahren."
„Werdet Ihr es tun?"
Der Kai richtete seinen müden Blick auf die alten Bäume ringsum und die verwitternden Steinreliefs längst vergangener Kais an einigen der Baumstämme.
„Seit Jahrtausenden folgt das bajoranische Volk dem Willen der Propheten. Mit unseren D ´jarras und unserem Glauben dienen wir nicht nur den Propheten. Die Kasten und unser Glaube bildeten die Eckpfeiler unserer Gesellschaft. Aber jetzt bestellen Priester kümmerliche Felder und Künstler führen den niederen Totendienst aus. Ich habe eines dieser Lager gesehen, Opaka. Eine Ikonenmalerin bot sich selbst den cardassianischen Wachen für ein Stück Veklava an. Die alten Gebote gelten nicht mehr. Unsere Gesellschaft zerfällt. Das Einzige, was uns noch bleibt, ist unser Glaube. Die unerschütterliche Hoffnung auf die Fürsorge der Propheten, deren Sprecher ich bin. Das gibt mir aber nicht das Recht, dem Volk zu befehlen, sich nicht nur seiner Würde, sondern auch noch seines Lebens berauben zu lassen."
„Aber was wird dann werden, Eminenz?"
Der Blick des Kai ruhte auf Opaka. Er musste nicht ihr Ohrläppchen berühren um zu wissen, dass ihr Pagh stark war. Wie viel konnte er ihr schon anvertrauen? Sie war jung, sehr jung für die Aufgaben, die bald auf sie zukommen würden. Er entschied, dass es Zeit war.
„Sage mir, Opaka, hast du die Schriften über den Abgesandten studiert, wie ich es dir aufgetragen habe?"
„Natürlich. Aber es ist schwer, ihre wahre Bedeutung zu ergründen."
„Was sagen die Prophezeiungen über den Zeitpunkt der Ankunft des Abgesandten?"
Die Vedek schloss die Augen und konzentrierte sich. „Und das Land war wüst, die Flüsse hatten ihre Bahn verlassen und die Städte der Kinder der Propheten lagen in Schutt und Asche. Wehklagen über die Toten war auf den Plätzen, denn hatten sie auch den Sieg errungen, war das Volk doch verloren." Opaka atmete einmal tief durch, öffnete die Augen und sah den Kai an. Dieser nickte.
„Fahre fort, meine Tochter."
„Ihre eigenen Standbilder stürzen sie um", rezitierte Opaka weiter. „Als der Bauer dies dem Soldaten befahl und der Herr hinter dem Pflug her schritt. Und der Abgesandte kam zu ihnen, als ihr Blut die Stufen des Tempels rot färbte. Sein Stern schwebte über ihren Häuptern und ihr Glaube kehrte zurück, als sie den Himmelstempel offen sahen. Das Pagh des Abgesandten erstrahlte zwischen den Propheten, als die Schlange..."
„Das ist genug", unterbrach sie der Kai sanft und sah sie erwartungsvoll an. Plötzlich begriff Opaka.
„Könnte es sein, dass sich die Prophezeiung über den Abgesandten auf unsere Zeit bezieht? Die furchtbaren Dinge, die geschehen müssen, ehe der Abgesandte erscheint, ereignen sich gerade jetzt?"
„Vielleicht", der Kai faltete die Hände in seinem Schoss. „Vielleicht auch nicht. Diese Worte sind über fünftausend Jahre alt. Seitdem hat unser Volk schon so manche Prüfungen zu bestehen gehabt und oft ist die Zeit des Abgesandten in eine bestimmte Ära Bajors hinein interpretiert worden. Allerdings war der totale Niedergang unserer Kultur niemals so wahrscheinlich wie heute. "
„Aber sagen die Prophezeiungen nach den Schrecken und der Ankunft des Abgesandten nicht auch den Beginn eines goldenes Zeitalters voraus?"
„In der Tat, so ist es. Deshalb habe ich heute vor dem Treffen mit den Cardassianern den Drehkörper des Schicksals befragt." Er erhob sich und Opaka tat es ihm nach. „In der Version begegnete ich einer Frau, die einen Säugling auf dem Arm trug. Sie sagte mir, sie würde das Kind dem Abgesandten bringen."
„Entspricht das nicht der fünften Prophezeiung über den Abgesandten, in der es heißt, ein Kind der Propheten werde geschickt, um dem Abgesandten zu dienen?"
Der Kai nickte. „Ich glaube, dass die Vision mir sagen wollte, dieses Kind ist bereits geboren. Irgendwo auf Bajor. Lass uns beten, meine Tochter, für das Kind und für die baldige Ankunft des Abgesandten unseres Volkes".

Nerys blies mit Tränen die Kerze aus, die ihr Vater ihr entgegen hielt. Sie, Reon und Taban knieten noch eine Weile im Kreis auf den Boden ihrer Hütte und gedachten mit gesenkten Köpfen der verstorbenen Mutter und Ehefrau. Die Kerze hatte als minderwertiger Ersatz für eine Duranja herhalten müssen, während Taban die Totengebete für Meru gesprochen hatte. Taban wischte sich die eigenen Tränen aus den Augen, als er seine beiden älteren Kinder in ihrem Schmerz um die verlorene Mutter betrachtete. Eine Trauer die auf einer Lüge fußte, die er ihnen erzählt hatte. Aber er hatte keine schonendere Möglichkeit gewusst, zu erklären, warum die Mutter nicht mehr zu ihnen zurück kam.
Taban liebte seine Frau. Nichts in seinem Leben hätte hieran etwas ändern können, auch nicht die Tatsache, dass sie die Gespielin Gul Dukats geworden war. Wachen der Cardassianer hatten Meru zusammen mit der Frau Luma Rahl kurz nach dem Zwischenfall mit der Suppe verschleppt. Im Lager hatten alle gewusst, diese Unglücklichen erwartete ein Schicksal als Trostfrauen. Cardassianische Soldaten hatten bereits seit Beginn der Invasion des Planeten Vergnügen daran gefunden, sich bajoranische Frauen sexuell dienstbar zu machen. Eine besonders perfide Variante hatte sich der Präfekt Dukat selbst ausgedacht. Auf seinen Erlass hin wurden Bajoranerinnen ausgesucht, die den cardassianischen Truppen in jeglicher Hinsicht zu Diensten sein mussten. Um die fern von der Heimat weilenden Soldaten zu trösten, wie es offiziell genannt wurde. Selten sahen ihre Familien die Töchter und Mütter wieder, die mitgenommen worden waren.
Taban hingegen hatte Meru wieder gesehen. Sie hatte mit ihm mittels einer Subraumübertragung zwischen Terok Nor und dem Büro des Lagerkommandanten gesprochen. Ein paar Soldaten hatten Taban dorthin gebracht. Die anfängliche Erleichterung, dass ihm nichts Schlimmes drohte, war tiefem Schmerz gewichen, als er seine Frau erkannt hatte. Er erinnerte sich vor seinem inneren Auge auch noch viel später an ihr sorgfältig geschminktes Gesicht, die tadellos frisierten Haare und die teure Kleidung. Nur wenige Wochen, nachdem man sie von Singha weggebracht hatte, war Kira Meru fast wieder so gesund und strahlend gewesen, wie vor ihrem misslungen Fluchtversuch.
„Hör mir zu, Taban!" hatte sie gesagt und dabei war sie sehr ernst gewesen. „Sie haben mich nach Terok Nor gebracht. Ich hatte das Glück, dass Gul Dukat selbst an mir Gefallen gefunden hat. Er ist es auch, der gestattete, dass ich mich mit dir in Verbindung setzen kann. Ich vermisse euch nämlich schrecklich!" Sie seufzte, fuhr aber dann schnell fort. „Dukat hat mir versprochen, dass er euch Lebensmittel und Medikamente schickt. Er wird auch dafür sorgen, dass Ihr in den oberirdischen Teil von Singha verlegt werdet. Dukat wird seine schützende Hand über euch halten. Er hat es mir versprochen." Eine Stimme sagte etwas auf der ihrer Seite der Übertragung und sie nickte. „Ich muss jetzt aufhören, Taban. Lass die Kinder nicht wissen, was aus mir geworden ist. Sie sollen mich in guter Erinnerung behalten. Und ich liebe dich!" Dann war die Übertragung unterbrochen worden.
Man hatte Taban und die Kinder danach tatsächlich in einen oberirdischen Teil des Lagers umgesiedelt, der ganz offensichtlich gerade erst angelegt worden war. Zwar gab es auch hier Zäune und Wachposten. Jedoch erhielt jede Familie eine Hütte aus Holz oder Wellblech. Sie bekamen die versprochenen Lebensmittel und selbst Medikamente. Sehr zu Freude von Taban waren seine Nachbarn niemand anderes als Narim Lo und weitere der Familienangehörigen, die er seit der Verhaftung und Trennung der Familien durch die Cardassianer nicht mehr wiedergesehen hatte. Lo gegenüber erzählte er, Meru sei krank geworden und habe zurück bleiben müssen. Aber mit jedem neuen Tag, an welchem Nerys fragte, wann die Mutter denn nun nachkommen würde, wurde Tabans Herz schwerer. Also hatte er sich zu der Lüge entschlossen, dass seine geliebte Frau an Entkräftung gestorben war.
„Ist Mami jetzt im himmlischen Tempel?" fragte Nerys und riss Taban aus seinen Tagträumen. Das Mädchen wischte mit dem Ärmel die Tränen weg, schniefte und sah ihren Vater dann hoffnungsvoller an. „Dorthin, wo es ihr wieder gut geht?"
Taban blickte durch das einzige Fenster der Hütte neben dem Eingang, wo ein alter knorriger Baum beinahe völlig die Sicht versperrte. Es war der einzige Baum weit und breit in diesem Teil des Lagers. Dennoch konnte Taban einen winzigen Fleck des Himmels sehen, der sich blau über dem Lager erstreckte. „Sie ist da oben, Süße", sagte er leise. „Und ich bin sicher, es geht ihr gut, weil sie von dort auf uns aufpassen kann."
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