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The pirate's gospel

von Janora

Schlaflos

Atlantischer Ozean

Jim öffnete seine Augen wieder.
Normalerweise konnte er bei Wind und Wetter schlafen. Egal, ob Sturm peitschte oder Schnee ihn zum frieren brachte. Er konnte ohne Probleme schlafen.
Überall.
Zu jeder Uhrzeit.
Nur nicht jetzt.
Er drehte sich auf die andere Seite. Doch da war nichts.
Das wäre noch nicht mal das Problem gewesen, denn auch alleine zu schlafen war er gewohnt. Der Grund war vielmehr, dass er das, was dort fehlte, auf dem ganzen Schiff nicht finden würde.
Es war Bones, der ihm fehlte. Bones, der sich über das Wetter beschwerte. Der über das Essen nörgelte. Der sich darüber ausließ, dass er schon seit Wochen nichts anderes mehr sah als Wasser, und dass er es langsam nicht mehr sehen konnte. Bones fehlte ihm. Und nachts war es am schlimmsten.

Irgendwann gab er es auf und beschloss, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Er vermied das Deck, wo er den Arzt in der Nacht so oft gefunden und ging stattdessen etwas tiefer in den Bauch des Schiffes.
Die Tür zur Kombüse quietschte leise beim Öffnen. Zu seiner Überraschung war er nicht alleine hier.
„Noch wach, Captain?“, fragte Uhura, als sie ihn erblickte.
„Kann nicht schlafen“, kam es von diesem. So unverständlich wie das gegrummelt wurde, war es ein Wunder, dass sie es überhaupt verstanden hatte. Aber wohl wissend bekam er ein Nicken von ihr.
Jim öffnete eine Truhe und nahm sich eine Flasche Rum heraus. Dabei fiel ihm auf, dass sie demnächst die Vorräte auffüllen mussten, bevor sie zur Neige gingen. Mit der Flasche in der Hand setzte er sich auf eine Bank, Uhura gegenüber.
Diese beobachtete ihn dabei, wie er einige großzügige Schlucke aus der Flasche nahm, nachdem er sie mit dem Messer geköpft hatte.
Jim warf ihr einen Blick zu.
„Ist was?“, hakte er ungewollt unhöflich nach.
„Du lässt dich in letzter Zeit gehen“, stellte sie so ehrlich fest, dass er erst mal nichts darauf zu erwidern wusste. „England liegt übrigens nur knapp zehn Tage von hier entfernt.“
Jim legte den Kopf schief.
„Ach, tut es das.“
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. "Ich lass dich mal alleine." Mit diesen Worten verließ sie den Raum, bevor ihr Captain noch ein Streit vom Zaun brechen würde.


Am nächsten Tag gab er einen neuen Kurs bekannt. Spock allerdings war skeptisch über ihr Ziel.
"Es gibt einige bekannte Kopfgeldjäger, die hinter dir her sind. Viele davon stehen unter dem Befehl des Königs, Jim. Es wäre unklug, sich direkt in ihre Fänge nach England zu begeben“, gab er zu bedenken.
"Und das soll mich jetzt beeindrucken?"
"Du solltest es ernst nehmen."
"Keine Angst, ich hab nicht, vor leichte Beute zu sein.."
Doch Spock schien nicht überzeugt. „Das ist etwas, was die ganze Crew betrifft, sollten wir uns einer Übermacht gegenüber sehen.“
"Ich weiß, was ich tue", knurrte Jim im genervten Ton, allerdings mehr, um seine eigenen Zweifel zu überdecken. Spock blickte ihn skeptisch an, merkte jedoch, dass es wenig Sinn machte, mit dem Blonden zu diskutieren.
"Aye, Captain. Das hoffe ich."

~~

Leonard mochte England. Er hatte hier ein einfaches, aber ehrliches Leben, so wie er es aus Georgia gewöhnt war. Die Leute schätzten ihn und seine Arbeit.
Er hatte ein Zimmer in dem Haus eines alten Herren gemietet. Als dieser gehört hatte, dass Leonard Arzt war, hatte er ihn mit Freude aufgenommen und sich gleich seine Gicht untersuchen lassen.
Andere Patienten waren da anfangs etwas zurückhaltender gewesen. Ein neuer Quacksalber wurde auf der Straße und im Hausflur zunächst nur kritisch beäugt. Man vertraute lieber Bewährtem. Aber Leonard verstand sein Handwerk und das sprach sich herum, wodurch er nach und nach immer mehr Aufträge bekam.
Außerdem waren viele an seinen Geschichten aus der neuen Welt interessiert. Seine Nachbarn aus dem Haus gegenüber, zum Beispiel, hatten ihn eine Woche nach seiner Ankunft, und auch immer wieder mal in den Wochen danach, zum Abendessen eingeladen. Der Mann war ein Händler, das Geschäft war bereits in zweiter Generation und er war daran interessiert, weiter in den Westen zu expandieren. Seine Frau war eine nette Dame in ihren mittleren Jahren, was sie aber stets zu verstecken versuchte. Als sei es irgendetwas Negatives. Sie gab nur zu gerne das Geld ihres Mannes für neumodischen Schnickschnack und beim Kaffeeklatsch mit ihren Freundinnen, alle aus ähnlichem Haus, mit ähnlichem Charakter, aus. Leonard mochte sie, konnte sie aber immer nur eine gewisse Zeit lang ertragen, bevor ihm ihre stets aufgeregte Stimme zu anstrengend wurde und er noch mehr von dem billigen Wein mit dem guten Geschmack trank, den es dort stets gab.
Da bei diesen Essen oft auch andere Gäste, stets interessierte, aber leicht dekadente Männer der aufsteigenden Mittelschicht, anwesend waren, wurde Leonard nach und nach in deren Kreis aufgenommen.
Es war ihm selbst ein Rätsel, wie er es geschafft hatte, denn eigentlich gab er nicht viel darum. Aber eines Morgens als er aufwachte, stellte Leonard fest, dass er zu einem Ball eines Professors eingeladen war. Und als er seinen Nachbarn um Rat fragte, denn er hatte keine Ahnung, was ihn da erwarten würde, erfuhr er, dass er mindestens die Hälfte der zu erwartenden Gäste beim Namen oder zumindest vom Sehen her kannte.

Seine neue Position brachte auch Veränderungen mit sich. Ein gewisses Aussehen und spezielles Benehmen wurde von ihm verlangt. Einiges machte er mit, wenn auch mehr aus dem Grund, dass er nicht wusste, wie ihm geschah. Als man ihm jedoch vehement und vorwurfsvoll vorschlug, Französisch zu lernen, zog er die Grenze und gab nicht mehr einen Deut darum, was man von ihm erwartete oder dachte. Um den Ball war er zum Glück auch herumgekommen. Denn Tanzen, so schwor er, war keinesfalls eine seine Stärken.

Aber all das, was ihm in seinem neuen Leben so begegnete und was dieses fremde Land ihm bot, ertrug er schweigend. Wenn man schweigend als hin und wieder laut fluchend und leise vor sich hin schimpfend definierte. Er ertrug es gerne. Denn der eigentlich Grund, weswegen er überhaupt hierher gekommen war, lag etwa eine Stunde außerhalb der Küstenstadt, in der er sich niedergelassen hatte.
Er hatte sich dagegen entschieden, in das Dorf zu ziehen, in dem Joanna seit einigen Jahren nun lebte. Vor allem, weil es dort bereits einen Arzt gab und weil er auch Jocelyn nicht so nahe sein wollte. Für sie beide wäre es besser, wenn noch immer etwas räumlicher Abstand zwischen ihnen lag. Und außerdem war eine Stunde keine lange Reise mit dem Pferd, wenn er seine Tochter sehen wollte.
Entgegen jeder Erwartung, vor allem seiner eigenen, war Leonard nach seine Ankunft nicht direkt zu den beiden gelaufen und hatte an ihrer Tür geklopft. Er redete sich ein, dass er erst sein neues Leben regeln wollte. Außerdem wollte er nicht so vor ihr erscheinen, wie er in England angekommen war: Mit nichts als seiner Tasche, ein wenig Geld und der gleichen Kleidung, die er bereits getragen hatte, als er in Portugal aufgebrochen war.
Die Wahrheit war jedoch, dass er auch ein wenig Angst hatte. Angst, dass seine Exfrau ihn seine Tochter nicht sehen lassen würde. Dass sie ihn hochkant wieder hinaus warf und die Tür vor seiner Nase zuschlug. Angst, dass er seine Tochter nicht wieder erkennen würde. Oder schlimmer noch, dass sie ihn nicht mehr erkannte.

Tatsächlich mietete er sich erst zwei Wochen nach seiner Ankunft ein Pferd und machte sich auf den Weg. Es war ein kühler Sommertag, typisch für England, wie Leonard bereits festgestellt hatte. Da er im warmen Süden Amerikas aufgewachsen war, war ihm das Wetter stets etwas zu frisch, aber er zog seinen Mantel etwas enger um sich und beschwerte sich nicht über solche Kleinigkeiten. Nicht, wenn ihm das Herz bis zum Halse schlug und er in dem Dorf ankam, wo er sich nach Jocelyn umhörte.
Er wollte nicht wissen, was die Leute dachten, wenn dieser fremde Mann mit eindeutig amerikanischen Akzent nach einer zugezogenen Frau mit Kind fragte, deren neuen Nachnamen er nicht kannte. Wahrscheinlich würden noch am gleichen Abend drei verschiedene Gerüchte über ihn hier kursieren, aber damit musste Jocelyn nun leben.
Ihr Haus lag am Rande des Dorfes. Es war, wie die anderen auch, mehr ein Hof, mit einem großzügigen Gemüsegarten dahinter, wie Leonard bemerkte.

Er stieg ab und band die braune Stute an, bevor er noch einmal durchatmete und zur Haustür trat, um an diese zu klopfen.
Jetzt, wo er näher war, konnte er gedämpfte Stimmen durch die Tür hören und wusste, dass jemand zu Hause war. Kurz kroch Panik in ihm hoch, die ihm sagte, dass das Ganze eine lächerliche Idee gewesen war und er lieber wieder abhauen sollte. Doch bevor er diesem Impuls nachgeben konnte, öffnete sich auch schon die Tür.

Jocelyn sah gut aus. Älter gewiss, aber frisch. Die Haare hatte sie sich nach der hiesigen Mode hochgebunden, was in Leonards Augen jedoch merkwürdig aussah.
Weitaus merkwürdiger musste jedoch sein Anblick für sie sein. Jocelyn war mehr als überrascht ihn zu sehen und starrte ihn die erste Minute nur fassungslos an, bevor sie Worte fand. „Leonard ...“ Es war, zugegeben, keine sehr geistreiche Feststellung, aber sie hätte im Traum nicht daran gedacht, dass sie ihren früheren Ehemann noch einmal zu Gesicht bekommen würde. Immerhin hatte sie angenommen, dass ein ganzer Ozean zwischen ihnen lag.
Dann besann sie sich aber auf ihre guten Manieren und bat ihn herein.

Leonard hatte sich seine Worte für Jocelyn bereits zurecht gelegt. Er hatte einen ganzen Monolog ausgearbeitet, der sie davon überzeugen sollte, dass er für seine Tochter hier war. Dass er Jocelyn keine Scherereien machen wollte. Dass er nicht mehr der Mann war, den sie verlassen hatte. Und er erzählte ihr alles davon.
Jocelyn war anfangs skeptisch. Das war nur natürlich, denn sie fühlte sich noch immer überrumpelt. Aber sie merkte schnell, dass Leonard es ernst meinte. Viel mehr noch: sie schien fast ein schlechtes Gewissen zu haben, dass sie seine Tochter auf die andere Seite der Welt gebracht hatte.

„Kann ich sie sehen?“, fragte der Arzt nach einem kurzen Moment des Schweigens, als alles Wichtige fürs erste gesagt zu sein schien.
Jocelyn nickte nur und rief ihrer beider Tochter, die kurz darauf im Türrahmen erschien.
Als Leonards Blick auf sie fiel, hatte er das Gefühl, dass ihm die Knie nachgeben wollten. Joanna war die letzten Jahre, die er sie nicht gesehen hatte, zwar gewachsen, aber sie sah immer noch aus wie sein kleines Baby. Er hatte das Bedürfnis, zu ihr rüber zu eilen, sie in den Arm zu nehmen und nie wieder los zu lassen. Doch er wollte sie nicht überrumpeln. Es reichte schon, dass Jocelyn immer noch nicht ganz glauben zu schien, dass er hier war. Also lächelte er seine Tochter einfach nur glücklich an.
Doch das Mädchen verzog keine Miene, schaute ihn einfach nur aus seinen großen Augen an. Kurz huschte ihr Blick zur Mutter, die aber keine Anstalten machte, etwas zu sagen.
Für einen Moment befürchtete Leonard, dass sein Alptraum wahr geworden war, und seine Tochter ihn nicht mehr erkannte. Er war sich nicht sicher, ob er das verkraftet würde.
Langsam ging er in die Hocke, um auf ihrer Augenhöhe zu sein.
„Hallo Joanna“, begrüßte er sie, um das Schweigen zu brechen. Denn die Stille schien ihn zu verhöhnen. Ihm zu sagen, dass er hier fehl am Platz war und lieber hätte auf dem Meer ertrinken sollen.
Jetzt kam etwas Leben in das Mädchen und sie kam auf ihn zu, zögernd, als wäre sie sich noch nicht ganz sicher, was sie von ihm halten sollte. Vor ihm blieb sie stehen und griff nach seiner Hand.
„Dad?“, fragte sie leise und plötzlich hörte Leonard die unterdrückten Tränen. Er bekam nur ein Nicken zu Stande. Dann hatte sie sich auch schon an ihn geworfen und ihre Arme um seinen Hals geschlungen. Leonard drückte sie und biss sich auf die Unterlippe, um nicht auch noch loszuweinen.
„Hey Maus“, flüsterte er.
Jocelyn beobachtete die Szene gerührt. Spätestens jetzt hätte sie erkannt, dass es grausam wäre, wenn sie diese beiden Seelen trennen würde.
Mit einem Lächeln auf den Lippen, trocknete sie sich die feuchten Augen und ging dann in die Küche, um Teewasser aufzusetzen.

Leonard hatte das Gefühl, dass er endlich angekommen war.
Zwischen seiner Arbeit als Arzt und den wöchentlichen Besuchen bei seiner Tochter wurde es mit Einladungen zum Essen oder abendlichen Veranstaltungen nie langweilig.
Oft kam er erst spät Abends nach Hause, wo er sofort in sein Bett fiel und einschlief. Nur um am nächsten Morgen viel zu früh geweckt zu werden, weil ein Patient ihn brauchte. Es war genau das Leben, das er sich vorgestellt hatte. Ein angesehenes Leben in der Nähe seiner Tochter.

Ehrlich gesagt, gab es nur einen Grund, weswegen Leonard sich nicht über die viele Arbeit beklagte. Weswegen er Einladungen immer wieder annahm, obwohl die Gesellschaft ihn anstrengte und er eigentlich ein ruhiges Buch bevorzugt hätte. Aber solange er beschäftigt war, brauchte er nicht darüber nachdenken, was fehlte. Wenn er Nacht um Nacht erschöpft in den Schlaf fiel, bemerkte er nicht, wie einsam er eigentlich war, sobald er die Tür seiner Wohnung hinter sich schloss.
Er wollte sich nicht damit auseinander setzen, denn er dachte hartnäckig daran, dass das hier genau das war, was er wollte. Und wenn er es sich nur lang genug einredete, dann würde er es auch irgendwann glauben.

Eine kleine Erfrischung bildete der wöchentliche Einkauf auf dem Markt der Stadt. Hier war stets auch viel los, aber es war ein Durcheinander, das ihn gerne an seine Heimat erinnerte. Oder den dubiosen Markt in Tortuga.
Die angebotenen Waren waren nicht sonderlich exotisch, sondern kamen alle aus der Region. Doch das störte Leonard wenig. Heute kaufte er frisches Gemüse und einen Fisch, der am Morgen noch im Meer geschwommen war. Anschließend machte er sich auf den Weg zum Bäcker, der zwei Straßen entfernt lag.
Später würde er noch nach einer Patientin sehen. Mrs. Reed, eine ältere Dame, die seit einiger Zeit an einem schmerzhaften Husten litt. Und anschließend wollte er vielleicht Joanna besuchen.

Doch auf seinem Heimweg hatte Leonard plötzlich das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Er wusste selbst nicht genau, woher es kam, denn er hatte noch nie unter Paranoia gelitten. Mit einem kurzen Blick über die Schulter erkannte er eine mit Kapuze und hohen Kragen vermummte Gestalt, die seinen Schritten folgte.
Lächerlich, warum sich diese Mühe machen, wenn man sich ihm auch ganz normal nähern und mit ihm reden konnte. Es sei denn, man hatte unlautere Absichten.
Kurzerhand bog Leonard in die nächste Straße ab, gelangte so mitten auf den Marktplatz, auf dem Händler ihre Waren auf etlichen Ständen darboten. In diesem Gewirr kannte er sich mittlerweile recht gut aus, da auch er hier öfters einkaufen ging, und er wollte versuchen, seinem Verfolger, falls es denn einer war, auf den Zahn zu fühlen.
Also streifte er durch die verschiedenen Stände, schlug immer wieder kleine Haken und bog schließlich in eine enge Seitengasse zwischen zwei Häuserblocks ab, wo er an die Wand gedrückt wartete. Viel Zeit verging nicht, bis der Maskierte auftauchte und in dieselbe Gasse bog. Aber er kam kaum einen Schritt weit, da hatte Leonard ihn auch schon gepackt und gegen die Wand gedrückt, dass sein Verfolger überrascht keuchte.
„Ich weiß, dass wir uns nicht gerade nett verabschiedet haben, Bones, aber das ist doch noch lange kein Grund, gleich so grob zu werden.“
Leonard erkannte die Stimme sofort und starrte Jim, der sein Gesicht nun enthüllte, an. Das konnte kaum wahr sein. Er war sich sicher, dass sein Verstand ihm einen Streich spielte.
„Du ...? Aber ...“
Der Pirat zuckte lächelnd mit den Schultern. „Ich war gerade in der Nähe und da dachte ich - ...“
Weiter kam er nicht, denn Bones zog ihn in seine Arme. Nur zu gerne wollte Jim die Geste erwidern, seinen Geruch, den er so vermisst hatte, endlich wieder einatmen. Bevor er aber dazu kam, drückte Leonard ihn wieder von sich, sein Gesicht plötzlich verdunkelt.
Bevor Jim ein weiteres Wort sagen konnte, zog Leonard ihm die Kapuze wieder tief ins Gesicht und packte ihn am Handgelenk, um ihn mit sich zu ziehen.
„Komm. Keine Widerworte“, knurrte er, als der Blonde zunächst nur zögernd hinter ihm her stolperte.

Er brachte ihn zu seiner Wohnung, ließ ihn erst los, als sie sicher und alleine in seinem Zimmer standen.
„Bist du denn noch bei Sinnen?“, blaffte er den überraschten Jim gestikulierend an. „Es ist verdammt gefährlich, dich hier blicken zu lassen. Weißt du nicht, dass die Marine hinter dir her ist? Was, wenn dich jemand gesehen hätte?“
Als Jim plötzlich anfing zu lachen, starrte er ihn einfach nur an. Der Junge musste seinen Verstand verloren haben.
Doch Jim war einfach nur so unglaublich erleichtert.
„Ich war vorsichtig“, zwinkerte er. „Niemand außer dir hat mich gesehen.“
„Das will ich auch schwer hoffen.“
„Warum? Hast du Angst um mich?“
„Fang jetzt nicht mit so einem Blödsinn an“, knurrte Bones und Jim erwiderte nichts mehr darauf. Doch er wusste, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Neugierig blickte er sich in Leonards Einzimmerwohnung um.
„Nett hast du es ...“, stellte er fest.
„Was machst du hier, Jim?“
„Ich hab etwas zu erledigen. Und ich dacht- ...“
„Nein, was machst du hier?“, unterbrach Leonard ihn. „Ich dachte, nach Portugal ...“ Er wusste nicht ganz, wie er den Satz formulieren sollte und ließ ihn einfach ins nNichts laufen.
Der Pirat zuckte mit den Schultern und schien nicht so ganz zu wissen, was er antworten sollte.

„Ich brauch was zu trinken“, war alles, was Leonard nach einer Weile des Schweigens dazu einfiel. Er trat zu einem kleinen Schrank und holte eine Flasche Schnaps hervor. Ohne zu fragen, goss er in zwei Gläser ein und gab eines an Jim.
Beide nahmen einen großen Zug.
„Es tut mir Leid, was ich damals gesagt habe.“ Leonard vermied es, ihn dabei anzuschauen, blickte stattdessen aus dem Fenster. Was geschehen war, konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Worte konnten nicht zurückgenommen werden. Und dennoch hätte er es wohl wieder so weit kommen lassen.
„Du hattest recht“, erwiderte Jim. „Zumindest mit manchen Sachen.“
„Das ist noch lange keine Entschuldigung dafür, dich derart zu beleidigen.“
„Du hast die ganze Crew beleidigt.“
„Ja, aber die anderen haben es nicht gehört.“ Leonard seufzte leise und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, rieb sich die Nasenwurzel in der Hoffnung, einen klaren Gedanken dadurch fassen zu können. „Und wie soll das jetzt hier ablaufen? Wir entschuldigen uns und du ziehst wieder von dannen? Ende gut, alles gut?“, fragte er dann.
„Es ist nicht so, als hätte ich irgendetwas von dem hier geplant“, erwiderte Jim ein wenig gereizter. Sein Blick glitt zur Tür.
Doch Leonard wollte nicht, dass er so schnell schon wieder verschwand. Vor allem, wollte er ihn nicht schon wieder vergraulen. „Schön, dass sich zumindest eine Sache nicht geändert hat, seit ich weg bin.“
Jim schnaubte leise, jedoch amüsiert und ging zur Flasche, um sich nachzuschenken. Bones trat neben ihn und stellte sein Glas dazu.
„Hast du deine Tochter gefunden?“, fragte der Pirat leise, als sie beide wieder etwas zu trinken hatten.
„Ja“, nickte Leonard und ein ganz anderer Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Einer, der Jim nicht entging. Er wartete kurz, bekam aber keine weitere Ausführung über die Kleine.
„Und hat sich der ganze weite Weg zwei Mal über den Ozean gelohnt?“, hakte er deswegen nach und stellte sein Glas, dessen Inhalt er jetzt gar nicht mehr angerührt hatte, ab.
„Zweieinhalb Mal“, korrigierte der Arzt und lächelte schief. „Und ja. Es gibt nichts, dass ich bereuen würde.“ Sein Blick fiel auf Jim.
„Das freut mich“, erwiderte dieser, auch wenn er nicht ganz so aussah, als würde er es auch so meinen. Er hatte das Gefühl, genug gehört zu haben. „Ich denke, ich sollte langsam gehen.“ Mit einem letzten Nicken verabschiedete sich und ging.
Bevor er aber auch nur die Hälfte des Weges bis zur Tür zurückgelegt hatte, packte Bones ihn auch schon an der Schulter und drehte ihn zu sich um. „Idiot“, knurrte er und küsste ihn.
Jim war überrascht, was ihn aber nicht davon abhielt, den Kuss für den kurzen Moment, den er dauerte, zu erwidern.
„Nicht, dass ich mich darüber beschwere, aber ...“, fing er an, wurde jedoch gleich von Leonard unterbrochen.
„Dann tu das auch nicht“, brummte dieser und schüttelte sachte den Kopf. „Du gehst mir nicht aus dem Haus mit diesem theatralisch, selbstbemitleidenden Glauben, dass meine Tochter das einzige wäre, das mich auf hoher See bei Sinnen gehalten hat. Ich wäre dir wohl auch noch ein drittes Mal über das Meer gefolgt.“
Ein Lächeln schlich sich in Jims Miene. „Vielleicht hätten wir ja noch einen richtigen Piraten aus dir gemacht.“
„Ja, vielleicht.“
Einen Moment schwiegen beide, blickten sich einfach nur an. Dieser verdammte Kerl hatte ihm wirklich viel zu sehr gefehlt. Für einen kurzen Moment stellte er sich vor, wie es wäre, wenn er mit Jim hier in England leben könnte. Wenn dieser kein gesuchter Verbrecher wäre. Dieser Gedanke gefiel ihm viel zu sehr, wie er fand. Aber der Blonde lenkte ihn schnell davon ab, indem er wieder seine Nähe suchte, und ehe er sich versah, küssten sie sich erneut, heftiger diesmal. Verlangender. Offensichtlich war er nicht der einzige, der den anderen vermisst hatte.
Trotzdem drängte sich ihm eine Frage auf.
„Wie lange bleibst du?“, fragte er atemlos, als er auf sein schmales Bett gedrückt wurde.
„So lange, wie es für mich sicher ist.“ Jim kletterte auf seinen Schoß und fand, dass Bones endlich sein Hemd loswerden sollte. Zumindest zog er es ihm über den Kopf auf, bevor seine Lippen erneut die des anderen suchten.

~~

Noch bevor Leonard am nächsten Morgen die Augen aufschlug, wusste er, dass Jim nicht mehr da war. Zum einen bemerkte er, dass er viel zu viel Platz in seinem kleinen Bett hatte, zum anderen fühlte er sich plötzlich wieder einsam.
Doch viel Zeit hatte Leonard nicht, darüber nachzudenken. Denn wie so oft klopfte es an seine Tür und er bemerkte, dass es das Geräusch war, was ihn eigentlich geweckt hatte.
Für einen Moment befürchtete er, es wären Soldaten, die ihn verhaften wollten. Die auf der Suche nach Jim waren. Aber als das Klopfen nicht energischer wurde und keiner seine Tür eintrat, wusste er, dass er sich grundlos Sorgen machte.
Als er öffnete, entdeckte er den Enkel von Mrs. Reed, der ihm, ein wenig blass um die Nase, erzählte, dass seine Großmutter gestürzt sei. Sofort schaltete Leonard in seinen Arzt Modus um, schlüpfte in Stiefel und Mantel und schnappte sich seine Tasche, um mit dem Jungen zu der alten Dame zu eilen.

Es stand nicht gut um sie. Beim Sturz von einer Stufe hatte sie sich schwer an der Hüfte verletzt. Leonard gab ganz genaue Vorschriften, wie sie zu Pflegen sei, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen konnte. Falls sie es wieder konnte. Denn ehrlich gesagt, fand er, dass er nicht mehr viel tun konnte, außer ihr ihre Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten und sich immerhin weiter um ihren Husten zu kümmern.
Nachdem er sich von der Familie verabschiedet hatte, brachte er seine Tasche nach Hause und beschloss dann, auswärts zu frühstücken. Seine Wohnung kam ihm nach der letzten Nacht zu klein und zu trist vor, als dass er sich zu Hause ein Brot schneiden wollte.
Er kam sich pathetisch vor, während er durch die vollen Straßen lief. Durch den schnellen Aufbruch vorhin hatte er gar nicht gemerkt, dass es schon viel später am Tag war, als er eigentlich gedacht hatte. Fast schon Mittag. Und wer wusste schon, wann Jim abgehauen war. Vielleicht sogar noch in der Nacht, als Leonard total ausgelaugt in den Schlaf gefallen war. Es wäre sinnlos, nach ihm zu suchen, er war wohl schon längst über alle Berge. Das sah diesem Piraten ähnlich.
Mit einem Kopfschütteln versuchte Leonard, die Gedanken an Jim zu vertreiben. Es war schlimm. Da tauchte dieser Kerl nur mal kurz in seinem Leben wieder auf und schon hatte er das Gefühl, ihn überall zu sehen und seinen Namen überall zu hören.
Leonard blieb stehen und drehte den Kopf. Er hatte tatsächlich jemand den Namen sagen hören.
Unweit von ihm entfernt hatte sich eine kleine Menschenmenge um die Stufen der Ratshaustreppe versammelt. Auf dieser stand ein Ausrufer, der gerade verkündete, was er soeben auf einem Zettel an die Tür des Rathauses genagelt hatte.
Leonard trat näher und konnte dann auch die Worte besser verstehen.
Sie sprachen von der Hinrichtung des gefangenen Piraten James T. Kirk.
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