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Inmitten des fallenden Schnees

von Emony

Kapitel 4

Als Jim am nächsten Morgen erwachte – zumindest nahm er an, dass es Morgen war – hielt es die Sonne noch nicht für nötig hinter den Wolken hervorzukommen. Vielleicht hatte sie sich noch nicht mal dazu entschieden überhaupt aufzugehen. Im Schlafzimmer war es jedenfalls noch recht dunkel, was nicht zuletzt an den schweren Vorhängen lag, die zugezogen waren.

Für einige Zeit lag Jim noch im Bett und lauschte in die Stille. Er hoffte, dass er Leonard irgendwann draußen rumoren hören würde und ihn rufen könnte. Nicht nur, dass er schon wieder hungrig war, er musste auch ganz dringend pinkeln.

Die Zeit schien still zu stehen, aber Jim wusste, dass dies nur seine subjektive Wahrnehmung war, weil die Natur ihren Tribut forderte und er so hilflos ans Bett in dieser fremden Umgebung gefesselt war. Nun ja, richtig gefesselt zwar nicht, aber auch nicht unbedingt in der körperlichen Verfassung, allein aufzustehen.

Ihm kam der Gedanke, einfach nach Leonard zu rufen. Allerdings sollte dieser lieber seinen mächtigen Rausch ausschlafen, damit er Jim später ins nächste Krankenhaus würde fahren können. Daher schlug Jim entgegen jeglicher Vernunft die warmen Bettdecken zurück und setzte sich unter Ächzen auf. Er wagte es zunächst kaum noch zu atmen, so stechend war der Schmerz in seinem Brustkorb.

Behutsam schwang er zunächst das linke und schließlich das rechte Bein über die Bettkante. Er erinnerte sich an die Warnung des Arztes, das linke Bein unter keinen Umständen zu belasten und so verlagerte er sein Gewicht auf das rechte Bein und stemmte sich vorsichtig in die Höhe. Er brauchte einen Moment, um das Gleichgewicht zu finden, doch nach einigen Sekunden schien es zu gehen und er wagte es, auf einem Bein Richtung Tür zu hüpfen.

Der Wohnbereich wirkte verlassen, das Feuer im Kamin war heruntergebrannt. Er hüpfte weiter unter der schmalen Holztreppe hindurch, hinüber zum Badezimmer und war dankbar, dass er sich dabei an der Wand abstützen konnte. Dankbar erleichterte er sich, sobald er endlich sein Ziel erreicht hatte. Während er anschließend seine Hände wusch, betrachtete er sein Gesicht in dem kleinen Spiegel über dem Waschbecken. Inzwischen hatte sich ein deutlicher Bluterguss an seiner linken Wange bemerkbar gemacht. Gestern war dieser noch nicht so ausgeprägt zu sehen gewesen. Da Leonard allerdings nichts dazu gesagt hatte, nahm Jim an, dass die Verletzung nicht der Rede wert war und beschloss sie ebenfalls zu ignorieren.

Als er in den Wohnbereich zurückkehrte, hangelte er sich an Stühlen und dem Esstisch stützend bis zur Küchenzeile vor. Was er jetzt brauchte, war Kaffee und zwar reichlich! Dem kleinen Kaffee-Automaten hatte er gestern Abend keine Beachtung geschenkt, doch an diesem Morgen war es das tollste Gerät, das er bisher in dem Haus entdeckt hatte. Er strahlte und schaltete das Gerät ein. Tassen waren ebenso schnell gefunden wie Teller. Leonard hatte sich überdies nicht nur mit Fertiggerichten eingedeckt, sondern auch Bacon und Eier eingekauft. Einem nahrhaften Frühstück stand also nichts weiter im Weg. Jims Magen knurrte laut los, sobald Jim die Verpackung des Bacons öffnete und ihm der Duft des Specks in die Nase stieg. Er steckte zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster und rieb sich in freudiger Erwartung den Bauch.

Wäre er nicht so immobil, hätte Jim durchaus versucht, etwas mehr über Leonard herauszufinden und den Wohnraum ein wenig durchstöbert. Inzwischen hielt er es in der Tat für recht unwahrscheinlich, dass er in die Fänge eines Entführers geraten war. Dieser Teil von Montana war nicht gerade für umtriebige Serienmörder bekannt. Natürlich war jeder Ort nur solange frei von Verbrechen, bis das erste begangen wurde, aber dennoch … Leonard war zwar absolut nicht ganz normal, aber sicher auch kein Killer. Die wenigen Stunden, die Jim am Vorabend mit dem Mann verbracht hatte, hatten diesen anfänglichen Verdacht zunehmend elastifiziert.

Leonard hatte etwas an sich, an dem Jim zunehmend Gefallen fand. Zwar schien der Mann extrem unnahbar und legte aktuell auch nur mäßigen Wert auf Körperpflege, doch ließ sich Jim davon nicht ablenken oder gar abschrecken. Wenn er tatsächlich Arzt war, lag ihm grundsätzlich wohl viel an der Gesundheit seiner Mitmenschen. Er konnte sie also nicht alle per se verachten. Ob allein die Trennung seiner Frau schuld an seiner hundsmiserablen Laune war, würde Jim jedoch vielleicht niemals erfahren.

Irgendwie gelang es Jim, wenn auch sehr viel langsamer und umständlicher als er es von sich gewohnt war, den Tisch für zwei zu decken. Und gerade als er sich überlegte, ob er einfach schon mal ohne Leonard frühstücken sollte, taumelte dieser noch schlaf- oder anderweitig trunken die kurzen Stufen herunter, die zwischen Bad und Schlafzimmer zur Empore führten.

Ohne Jim sonderlich zu beachten, trottete er ins Badezimmer und kam erst einige Minuten später an den Küchentisch geschlurft. Er setzte sich und fuhr sich müde durch das zerzauste dunkle Haar, während Jim ihn wortlos betrachtete.

„Kater?“, fragte dieser ihn schließlich und achtete tunlichst darauf, leise zu sprechen. Auch er hatte schon mal einen über den Durst getrunken und sich am nächsten Morgen einen gnädigen Tod herbeigesehnt. Er wusste nur zu gut, wie Bones sich aktuell fühlte und daher hatte er auch Mitleid mit ihm.

Ein langsames Nicken, begleitet von einer Geste, die sagte ‚du hast ja keine Ahnung‘, waren Leonards einzige Reaktionen.

„Ich habe dir gesagt, du solltest weniger trinken.“ Jim konnte nicht anders als ihn daran zu erinnern. Die Befriedigung recht zu haben, tat einfach gut.

„Halt die Klappe!“, herrschte Leonard ihn an und kniff die Augen ob des grellen Lichts aus der Zimmerlampe über dem Esstisch zusammen.

Ohne Worte schob Jim ihm als Friedensangebot einen Teller mit Rührei, Toast und gebratenem Bacon und eine Tasse mit dampfenden Kaffees hin. „Hier, damit du wieder zu Kräften kommst. So kannst du mich unmöglich ins Krankenhaus fahren.“

Leonard nickte dankbar und trank schlürfend einen Schluck des heißen Kaffees. „Wie hast du …?“ Erst jetzt schien ihm klarzuwerden, dass Jim trotz seines aktuellen Handicaps Frühstück für sie beide zubereitet hatte. Jim zuckte nur die Schultern, setzte sich zu ihm an den Tisch und genoss seinerseits das Frühstück. „Danke“, brummte Bones nach einer Weile und schob sich etwas argwöhnisch eine Gabel voll Rührei in den Mund. Er kaute und ließ sich den Geschmack kritisch auf der Zunge zergehen. „Schmeckt gut.“

Daraufhin schenkte Jim ihm nur ein zufriedenes Lächeln. Das Kochen hatte ihm sein Stiefvater beigebracht. Nun ja, die etwas einfacheren Gerichte zumindest. Bei ihnen zuhause kochte vor allem Chris, da seine Mutter kein besonderes Talent dafür hatte. Das Fleisch war meist zu durchgebraten und daher trocken, Nudeln und Reis verkochten häufig und von Gewürzen hatte sie auch nicht unbedingt viel Ahnung. Chris hatte es deshalb für wichtig gehalten, seinen Stiefsöhnen das Kochen beizubringen, sofern es sein Beruf zeitlich erlaubte und er zuhause gewesen war. Sie sollten sich nicht darauf verlassen, dass sie eines Tages eine Ehefrau haben würden, die in der Küche begabter war als es bei ihrer Mutter der Fall war. Sam hatte in dieser Hinsicht Glück gehabt. Aurelan schien dahingehend, aber auch anderweitig, die perfekte Frau zu sein. Er hatte sich schon auf das Festmahl zu Weihnachten bei den Beiden gefreut, auf das er jetzt vermutlich verzichten musste. Seine Schwägerin war einfach eine wundervolle Gastgeberin.

Nach einem entspannten Frühstück und mehr als einem Liter Wasser, welches den Restalkohol aus seinem System schwemmte, sah Leonard sich offenbar in der Lage duschen zu gehen.

In der Zwischenzeit und nachdem Jim, auf einem Bein hüpfend, das schmutzige Geschirr in die Spüle gestellt hatte, beschloss er, einen Blick nach draußen zu werfen. Mittlerweile war es nach zehn Uhr am Morgen, doch durch die Fenster kam nach wie vor kaum Licht. Die Vorhänge zurückziehend machte Jim sich darauf gefasst, dass es immer noch schneite und es deshalb kaum heller wurde. Ihm klappte jedoch vor Schreck der Kiefer herunter, als er einen Blick aus dem Fenster riskierte. Er konnte nämlich nichts als eine weiße Wand sehen, da das Fenster nahezu vollständig von einer dicken Schneeschicht bedeckt war. Da war es kein Wunder, dass kein Sonnenlicht durchdrang. „O nein, das kann doch nicht wahr sein!“

„Was ist los?“ Leonard kam in diesem Moment frisch gekleidet aus dem Badezimmer und rubbelte sich die Haare mit einem Handtuch trocken. Er erstarrte in seiner Bewegung, als er sich ihrer misslichen Lage bewusst wurde. „So grausam kann Gott nicht sein!“

Jim lehnte resignierend die Stirn an die kalte Glasscheibe und verfluchte, dass er gestern nicht doch bei Sam und Aurelan übernachtet hatte. Er hätte einfach dort bleiben können und wäre nicht angefahren worden. Stattdessen war er jetzt im wahrsten Sinn des Wortes mit einem Fremden eingeschneit!

„Das haben wir gleich!“ Hörte er Leonard hinter sich, der sich rasch seinen Parka, Stiefel, eine Mütze und Handschuhe anzog. „Ich schippe uns den Weg frei. Das wird kein Problem sein.“ Voller Tatendrang riss er die Haustür auf und fand sich einer mannshohen Schneemauer gegenüber. Er konnte gerade so darüber hinweg sehen. „Herrgott! So erbarmungslos kannst du doch nicht sein!“

„Was kann ich denn dafür?“, fragte Jim, der sich angesprochen fühlte und sah hinüber zu Leonard, der immer noch fassungslos die Schneemauer anstarrte.

Ohne Jim anzusehen ranzte er diesen an: „Misch dich gefälligst nicht ein, wenn ich mit Gott spreche!“

Jim gluckste leise, bedauerte es jedoch sofort. Seine Rippen erinnerten ihn einmal mehr daran, dass er aktuell absolut nichts zu lachen hatte. „Mach die Tür zu, es kommt eiskalt rein.“

Kopfschüttelnd kam Bones der Aufforderung nach. „Die Schippe steht im Grunde nicht weit weg, links an der Hauswand. Aber … ich habe keine Ahnung, wie ich an sie herankommen soll.“

„Selbst, wenn du rankämst. Es hat rund anderthalb Meter Neuschnee gegeben. Dein Auto liegt irgendwo darunter verschüttet, die Straßen werden hier außerhalb der Ortschaft noch nicht geräumt sein. Vielleicht werden sie auch gar nicht geräumt. Wir kommen hier vorerst nicht weg.“

Leonard ließ sich mit dem Rücken an die Haustür gelehnt auf den Boden gleiten, zog die Knie an und stützte in Verzweiflung den Kopf in die Hände. Jim hüpfte zu ihm hinüber und ließ sich etwas plump neben ihm nieder. So saßen sie einige Minuten schweigend da, jeder in seine eigenen Gedanken versunken.

Allerdings war Jim nicht jemand, der sich durch scheinbar ausweglose Situationen entmutigen ließ. In der Regel gab es für jedes Problem eine Lösung. Und so begann er laut nachzudenken: „Wir müssen die Nahrungsmittelvorräte einteilen und nachsehen, wie viel Feuerholz wir zur Verfügung haben.“

Bones wandte ihm langsam den Blick zu. „Der Großteil des Holzes ist hinter dem Haus.“ Er zuckte matt die Schultern. „Ich habe keine Ahnung, wie ich dort rankommen soll. Selbst, wenn es mir gelänge die Schippe zu erreichen, um eine Schneise freizuschaufeln …“

„Wir müssen es versuchen und das Holz ins Haus schaffen. Wenn es feucht ist, wird es nicht brennen. Und ich habe nicht vor, mit dir als einzige Gesellschaft in dieser Hütte zu erfrieren.“

„Was heißt da ‚wir‘? In deiner körperlichen Verfassung bist du ja kaum in der Lage, dich frei im Haus zu bewegen, geschweige denn draußen im Schnee.“

„Wir könnten anfangen die Möbel zu verbrennen, wenn dir das lieber ist“, schlug Jim vor. Ihm war das relativ egal. Schließlich war dies nicht seine Hütte. Er konnte notfalls auf Stühle und Tische verzichten.

„Kommt gar nicht in Frage!“, grollte Leonard und stand wieder auf, ehe ihm noch der Hintern am kalten Boden festfrieren konnte. „Neuschnee ist recht fluffig. Irgendwie werde ich mir einen Weg zum Holzlager bahnen.“ Er reichte Jim die Hand. Dieser ergriff sie und ließ sich dankbar von Leonard aufhelfen. Etwas wackelig kam er auf dem rechten Bein in den Stand, fühlte sich jedoch leicht schwindelig. Leonard stützte ihn an den Ellbogen, bis er sich wieder sicher auf dem einen Bein fühlte. „Wenn wir täglich nicht mehr als zwei Mahlzeiten zu uns nehmen, sollten wir notfalls zwei Wochen mit den Nahrungsmittelvorräten auskommen.“

Zwei Wochen. Jims Blick wanderte nervös durch den Raum. Der Gedanke war erschreckend! Sam und Aurelan würden wahnsinnig vor Sorge um ihn werden. Jim mochte sich auch gar nicht ausmalen, wie seine Mutter und Chris reagieren würden, wenn sie über sein plötzliches Verschwinden informiert werden würden. Zwei Wochen … Jims Optimismus löste mit einem Mal sich in Wohlgefallen auf.

Leonard fiel Jims Niedergeschlagenheit auf. Er legte seine Hände auf die Schultern des anderen und sah ihn an. Jim ließ jedoch den Kopf hängen. „Ich muss mir deinen Fuß nachher nochmal anschauen. Die provisorische Schiene ist nicht unbedingt praktikabel“, meinte Leonard schließlich, um Jim ein wenig abzulenken. „Vielleicht kann ich dir einen Tapeverband anlegen, dann kannst du wenigstens duschen gehen.“

Es dauerte einige gedehnte Momente, bevor Jim die trüben Gedanken von sich schüttelte und seinem Gegenüber in die Augen sah. „Ja, von mir aus. Du bist doch wirklich Arzt, oder?“

Leonard rollte genervt die Augen. Jims Blick erinnerte ihn an den eines verängstigten Jungen, daher verkniff er sich einen instinktiv bissigen Kommentar und sagte stattdessen: „Ja, ich bin tatsächlich Arzt. Warum sollte ich dir was vormachen?“

Ein Schulterzucken war Jims einzige Reaktion. Leonard hatte nie zuvor in seinem Leben so unfassbar blaue Augen gesehen. Jims Blick weckte den Wunsch in ihm, diesen in die Arme zu schließen und tröstend zu drücken, doch er hielt sich an seine berufliche Professionalität und blieb zurückhaltend.

„Ich bin von der Situation genauso wenig begeistert wie du. Das darfst du mir glauben“, ließ Leonard ihn versöhnlich klingend wissen. „Mit etwas Glück wird es die Tage wieder wärmer und ein Teil des Schnees wird schmelzen. Sobald das der Fall ist, fahre ich dich ins Krankenhaus oder zu deinem Bruder. Wohin auch immer du willst.“

„Versprochen?“

Leonard nickte und erlaubte sich sogar ein kleines Lächeln. „Du scheinst deinem Bruder sehr nahe zu stehen.“

„Ja“, erwidert Jim, nun ebenfalls lächelnd, als er an Sam dachte, „Natürlich haben wir auch viel gestritten und uns auch mal geprügelt, aber inzwischen haben wir ein wirklich gutes Verhältnis zueinander. Ich hatte mich echt darauf gefreut, das diesjährige Weihnachtsfest bei ihm und seiner Familie zu verbringen.“

Das schlechte Gewissen, das Leonard ohnehin quälte, hätte im Augenblick kaum größer sein können. Nicht nur, dass der Bursche seinetwegen verletzt war, jetzt konnte er nicht mal Weihnachten bei seiner Familie verbringen. Er klopfte Jim freundschaftlich auf die Schulter. „Noch könnte ein Wunder geschehen. Heute ist erst der Dreiundzwanzigste. Wer weiß, was sich die nächsten Tage noch ergibt. Du solltest die Hoffnung nicht aufgeben.“ Als er Tränen in Jims Augen glitzern sah, fühlte Leonard sich schrecklich verunsichert. Er war nie ein sonderlich gefühlsbetonter Mensch gewesen. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass seine Ehe gescheitert war. Als Jim plötzlich so emotional wurde, wusste er nicht damit umzugehen. „Setz dich auf die Couch und mach es dir bequem. Ich sehe inzwischen zu, dass ich uns mit Feuerholz eindecke.“

Jim nickte langsam und hüpfte auf dem rechten Bein zur Sofa-Ecke hinüber, wo er sich eine Decke schnappte und sich ein wenig einigelte. Leonard beobachtete ihn noch einen kurzen Moment dabei, dann wagte er sich hinaus in die Kälte.

Das Rating wird allmählich angehoben. Der Jim in mir will sich mal wieder richtig (un)anständig austoben. ;)
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