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Inmitten des fallenden Schnees

von Emony

Kapitel 5

„Heilige Scheiße, ist das kalt draußen!“ Leonard hatte sich erfolgreich einen Weg um das Haus herum bahnen und genug Feuerholz holen können, dass es ihnen locker für zwei Tage ausreichen würde. Und das war noch längst nicht der gesamte Vorrat. Der Unterstand hinter dem Haus war reichlich mit Holzscheiten bestückt. Seine Eltern waren sowohl im Frühjahr als auch im Herbst in der Hütte gewesen und hatten den Vorrat entsprechend aufgefüllt. Mit dem vorerst letzten Schwung Holzscheite auf dem Arm gab Leonard der Haustür einen Tritt, zog sich die schneeverkrusteten Stiefel aus und marschierte direkt zum Kamin hinüber, wo er das Feuer wieder frisch in Gang setzte. Er konnte Jims Blick deutlich in seinem Rücken spüren. Das Gefühl, dass ihn jemand mit Argusaugen beobachtete, gefiel ihm jedoch nicht besonders.

„Du kannst dich gerne zu mir unter die Kuscheldecke gesellen. Ich wärme dich mit Freuden wieder auf.“

Jims Offenherzigkeit brachte Leonard ganz aus dem Konzept. Er warf dem jüngeren Mann einen konsternierten Blick über die Schulter zu. „Hör auf mich anzubaggern.“

„Nope.“ Jim schenkte ihm ein regelrecht anzügliches Lächeln.

„Depressiv gefällst du mir irgendwie besser.“

„Warum, weckt das deinen Beschützerinstinkt?“

Jims Lächeln wurde noch breiter, was Leonard kaum für möglich gehalten hatte. Er ließ die rechtlichen Holzscheite vor die Feuerstelle im Kamin fallen und drehte sich auf dem Absatz um, so dass er Jim ernst ansehen konnte. „Von deinen Stimmungsschwankungen werde ich seekrank.“

„Aber du wirst gerne gebraucht, nicht wahr? Mir ist aufgefallen, dass du ziemlich stark auf manche Gefühlsregungen eingehst. Und ich habe dir angesehen, dass du mich vorhin am liebsten in den Arm nehmen und trösten wolltest. Du hast einen wirklich ausgeprägten Beschützerinstinkt, wenn man bedenkt, wie kurz wir beide uns erst kennen. Und du reagierst fast schon aggressiv auf jeden meiner Annäherungsversuche.“ Jim rappelte sich auf dem Sofa auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wieso machst du mich überhaupt an? Was soll das? Du hast doch nichts davon.“ Leonard begriff nicht, was der Junge mit all dem bezweckte. Ernsthaftes Interesse konnte doch wohl kaum dahinter stecken.

„Würdest du mich nicht so vehement abblocken, hätten sogar wir beide was davon. Überleg es dir einfach in Ruhe. Ich laufe dir nicht weg.“ Er verwies auf sein lädiertes Fußgelenk. „Und mein Angebot steht noch.“

Jims Worte und das frisch auflodernde Feuer in seinem Rücken, brachten Leonards Wangen zum Glühen. Hastig zog er seinen Parka und die restliche Winterkleidung aus.

„Sehr gut, jetzt kommen wir der Sache näher.“ Hoffnung erfüllte Jim mit einem Mal. „Hör nur meinetwegen nicht auf …“, bat er, sobald Leonard sich der winterlichen Kleidung entledigt hatte und anschließend alles penibel an die kleine Garderobe hängte.

Der Arzt drehte sich Wut schnaubend zu ihm herum. Er hatte keineswegs vor sich gänzlich zu entkleiden. „Könntest du das bitte unterlassen?“

Langsam schüttelte Jim den Kopf. Das Grinsen wollte einfach nicht aus seinem Gesicht verschwinden. Sogar wenn er wütend war, blieb Leonard höflich. So jemandem war Jim nie zu vor begegnet. Das gefiel ihm irgendwie. Allerdings war Leonards Abwehrhaltung dermaßen stark, dass Jim eine ganz bestimmte Frage in den Sinn schoss und die sprach er dann einfach direkt aus. „Wie lange hat sie dich eigentlich nicht mehr rangelassen?“

Leonard klappte der Mund auf. Jim war ja wohl der respektloseste Mensch, mit dem er es je zu tun gehabt hatte. „Geht dich einen feuchten Kehricht an“, fauchte er daher. Was hatte denn das eine mit dem anderen zu tun?

Jim schmunzelte nur ob des harschen Tonfalls und ließ sich davon kein bisschen einschüchtern. „Deine Leidenschaft würde ich zu gern am eigenen Leib erfahren.“

„Hör mal“, fuhr Leonard ihn mit zunehmendem Zorn an und gestikulierte wild mit den Händen, „wenn du nicht sofort die Klappe hältst, dann werfe ich dich hochkant aus der Hütte. Wenn du also nicht jämmerlich erfrieren willst, dann lässt du mich jetzt in Ruhe!“

Jim nickte beschwichtigend. „Du würdest mich nie rauswerfen. Das widerspricht deinem hippokratischen Eid.“ Er konnte deutlich Leonards Zähneknirschen hören. „Irgendwie müssen wir uns doch die Zeit hier vertreiben …“

„Sicherlich nicht mit Sex.“ Leonard verschränkte die Arme vor der Brust, um seinen Standpunkt zu untermauern.

Jim atmete hörbar durch. „Vorerst. Dann lass mal hören, was du an Alternativen anbieten kannst.“

Es dauerte einige Augenblicke bis Leonard realisierte, dass er diesen Konflikt tatsächlich gewonnen hatte – zumindest vorerst. Damit nahm Jim ihm den Wind aus den Segeln und seine Wut verrauchte allmählich. Die Starre in seinen Schultern ließ ebenfalls nach und er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Oben sind vielleicht noch ein paar Brettspiele. Und Bücher gibt es einige.“

Jim blinzelte unbeeindruckt. „Das meinst du ernst?“

„Durchaus. Damit haben wir uns hier früher meist beschäftigt, wenn wir nicht draußen in der Natur unterwegs waren. Meine Mutter hat mein Zimmer nie leer geräumt, auch wenn ich schon seit Jahren nicht mehr mit meinen Eltern hierher in den Urlaub gefahren bin.“

„Du willst Brettspiele mit mir spielen und Kinderbücher lesen?“ Jim fuhr sich fahrig durchs Haar. Die Zeit in dieser Hütte würde sich ewig hinziehen – ewig! Was gebe er jetzt darum, mit Peter eine Schneeballschlacht zu machen oder weiter an dem Iglu zu bauen. Die massive Schneeschicht würde ihn nicht abhalten können. Er könnte dem Kleinen sogar ein Labyrinth erstellen und in dessen Zentrum oder am richtigen Ausgang eine Überraschung für ihn bereithalten. Stattdessen saß er hier mit einem verbitterten und vor allem frigiden Arzt fest, der sich die Zeit lieber mit Brettspielen und Büchern vertreiben wollte statt mit hemmungslosem Sex. Langweiliger ging es ja wohl nicht mehr!

„Da sind nicht nur Kinderbücher. Ich habe als Kind und Jugendlicher allerhand Genre gelesen. Welche Spiele noch da sind, muss ich kurz nachsehen.“ Damit verschwand Leonard auch schon auf der Empore, welche schon immer sein Bereich in der Hütte gewesen war.

Jim sah ihm kopfschüttelnd hinterher und blickte verzweifelt auf die Uhr. Das konnte ja heiter werden.

„Also“, erklang Leonards Stimme von oben herab, „ich habe 'Cluedo', 'Monopoy', 'Spiel des Wissens', 'Das verrückte Labyrinth', 'Backgammon' und 'Rummikub' im Angebot.“

„Was, kein Bingo?“, frotzelte Jim. Er rieb sich mit den Händen übers Gesicht. So etwas konnte wirklich nur ihm passieren. Und er fragte sich, womit er es verdient hatte ausgerechnet mit einem Kerl wie Leonard in dieser Hütte eingeschneit zu sein. Er hatte zuletzt als Kind irgendwelche Brettspiele gespielt.

„Oder ich bringe was zum Lesen runter. Ich habe sämtliche Werke von Tolkien, etwas mehr als zwanzig Bände der 'Drei Fragezeichen', einige Sci-Fi Romane wie 'Der Wüstenplanet' und 'Endymion' oder …“

„Hast du nichts von Stephan King oder von einem anderen Autor, der Horror- oder Thriller-Romane schreibt?“

Leonard lehnte sich über das Geländer, so dass er Jim ansehen konnte. „Diese Genres durfte ich früher nicht lesen. Und ich war meinen Eltern im Nachhinein sehr dankbar für das Verbot. Als ich während meines Medizinstudiums ein paar von Kings Romanen gelesen hatte oder auch von Joy Fielding und Sebastian Fitzek, da wurde mir klar, wie krank manche Autoren im Kopf sein müssen, um so einen Bullshit zu verzapfen. Da lese ich lieber zum zehnten Mal das 'Silmarillion' oder 'Endymion'.“

„Die sagen mir alle nichts.“ Jim sah wenig begeistert zur Empore hinauf.

„Sind ziemliche Wälzer. Vielleicht auch nicht ganz dein Ding. Aber zum Einstieg in Tolkiens fantastische Welt kann ich dir 'Die Gefährten' empfehlen, das ist der erste Band aus 'Der Herr der Ringe' Trilogie.“

Die Augen verdrehend schüttelte Jim den Kopf. „Hast du noch irgendwas anderes?“

Leonard verschwand wieder außer Sicht. Jim konnte hören, wie er das Bücherregal durchstöberte und diverse Buchtitel vor sich hin nuschelte. Dann kam er mit einem Buch in der rechten Hand die schmale Treppe herunter gestiegen, welche Jim ein wenig an die Leitern von Stockbetten erinnerte, die etwas schräg in den Raum hineinstanden. „Das hier habe ich schon ewig nicht mehr gelesen. Und es passt zur Jahreszeit und meiner Stimmung.“

„Schön, und was hast du mir zum Lesen mitgebracht?“, fragte Jim, ohne sich zu erkundigen, welches Buch Leonard in den Händen hielt. Er wollte es nicht wissen. Nach Leonards ‚Beschreibung‘ konnte es nur furchtbar sein.

„Wir lesen es abwechselnd. Das wird dir gefallen.“

„Das bezweifle ich“, murmelte Jim in seinen nicht vorhandenen Bart. „Und wieso abwechselnd? Gib mir den ‚Wüstenplanet‘ oder ‚Endymion‘. Ich will nicht mit dir zusammen lesen.“

„Wir lesen Charles Dickens gemeinsam“, beharrte Leonard und setzte sich auf den Sessel, der seitlich neben dem Sofa stand. „Eine Weihnachtsgeschichte.“

Jim schloss verzweifelt die Augen. „Ich bin in der Hölle gelandet! Womit habe ich das verdient?“

„Das habe ich mich auch schon gefragt. Und ich schätze, wir müssen einfach beide das Beste aus der Situation machen.“ Leonard schlug beinahe ehrfürchtig das eingestaubte Buch auf, das eine alte Luxusausgabe mit Samteinband war und strich über den Falz zwischen den ersten beiden Seiten. Er wollte gerade anfangen zu lesen, da unterbrach ihn Jim.

„Wenn ich dir zuhöre und nicht vor Langeweile einschlafe, kann ich dann anschließend Sex mit dir haben, als Belohnung sozusagen?“

„Spinnst du?“ Leonard schüttelte den Kopf und fing an zu lesen. Zuerst machte Jim ein beleidigtes Gesicht, wann immer er vom Buch auf und ihn ansah, und erinnerte Leonard entfernt an einen eingeschnappten Jungen, doch mit der Zeit wurden seine Züge weicher und er entspannte sich sichtlich. Wenn Leonard kleine Pausen machte und Augenkontakt suchte, sah Jim ihn auffordernd an, als wolle er wissen, wie es weiterging und er tat ihm den Gefallen und las weiter vor. Nach dem ersten Kapitel reichte Leonard ihm jedoch das Buch und blickte ihn auffordernd an. „Jetzt du.“

„Ich bin nicht gut darin vorzulesen. Ich lese normalerweise sehr schnell und überfliege unwichtige Details. Ich … kann das nicht. Nicht wie du. Du betonst alles so schön, jede Figur bekommt von dir eine eigene Stimme.“ Jim übertrieb es nicht. Er hatte wirklich Gefallen daran gefunden Leonard zuzuhören. Er mochte die tiefe, maskuline Stimme und den Dialekt, welchen er den Südstaaten zuordnen konnte.

„Das kann man üben. Man muss es sogar üben. Vorlesen ist eine ganz besondere Art des Lesens. Ich bin damit aufgewachsen. Wir saßen oft zu dritt hier und haben reihum vorgelesen.“ Leonards Blick schweifte bei der Erinnerung an gemeinsame Familienabende in weite Ferne.

„Na schön, aber lach nicht.“ Jim räusperte sich. Und als Leonard den Kopf schüttelte und ein stummes Versprechen gab, begann er schließlich zu lesen. Zunächst tat er sich schwer damit und geriet leicht außer Atem, aber nach einiger Zeit gewöhnte er sich daran und fand sogar Freude am Vorlesen. Die Geschichte selbst kam ihm irgendwann vertraut vor, allerdings wohl eher durch eine Verfilmung des Romans. Er konnte sich noch dunkel an den Schauspieler des Scrooge‘ erinnern, der auch in einer alten Serie aus den achtziger oder neunziger Jahren eine Hauptrolle gespielt hatte. Sam hatte die Serie immer gern gesehen, Jim fand sie hingegen furchtbar langweilig, obwohl sie im Weltall spielte und er Science-Fiction eigentlich mochte.

Sie verbrachten rund zwei Stunden damit, sich den Roman gegenseitig vorzulesen. Allerdings knurrte ihnen beiden gegen Mittag dermaßen der Magen, dass Leonard am Ende eines weiteren Kapitels ein Lesezeichen hineinsteckte und das Buch beiseitelegte. „Lust auf Indonesisch?“

Jim strahlte und streckte sich. Stundenlanges Herumliegen war er so gar nicht gewohnt. Es fehlte ihm, sich nach Lust und Laune zu bewegen. Außerdem machte ihn das andauernde Liegen müde. Er nickte daher, dankbar für die Abwechslung, und schälte sich unter der Kuscheldecke hervor. „Ich helfe dir.“

„Unsinn, du kannst doch nicht …“

Jim hob seine vollen Augenbrauen, wodurch sich seine Stirn in kleine Falten legte. „Frühstück konnte ich auch machen. Ich bin leicht lädiert, aber kein Krüppel.“

Leonard hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut, okay. Dann hilfst du mir. Auch wenn es nicht wirklich allzu viel Können verlangt, ein Fertiggericht in einer Pfanne zu erwärmen.“

„Auch das kann man versauen, glaub mir.“ Jim wollte nicht schlecht über seine Mutter sprechen, aber diese hätte sogar Probleme damit, ein Tütengericht aus der Tiefkühltruhe richtig zuzubereiten. Beim Gedanken an sie musste er lächeln. Sie war wunderbar, aber eben eine lausige Köchin. Dafür hatte sie andere Qualitäten, für die er sie liebte. Mit Leonards Hilfe stand Jim vom Sofa auf und hüpfte hinüber zur Küchenzeile. Am Tresen angekommen blickte er auf sein geschientes Bein hinab. „Du wolltest dir noch meinen Fuß ansehen und eventuell neu schienen.“

„Nicht schienen“, erwiderte Leonard und zog einen Wok aus einer ziemlich großen Schublade links neben dem Herd. „Ich werde dir einen Tapeverband anlegen, der ist etwas flexibler und bequemer.“

„Wenn du das sagst, glaube ich es einfach mal. Kann ich vorher noch duschen? Ich glaube, mein Deo hat den Geist aufgegeben.“ Er machte ein entschuldigendes Gesicht. Ihm war auf dem Weg vom Sofa zur Küchenzeile ein nicht ganz unbekanntes Odeur in die Nase gestiegen, das seinen Ursprung eindeutig unter seinen Achseln hatte.

„Lässt sich einrichten, denke ich. Allerdings hoffe ich schwer, dass du dabei keine Unterstützung brauchst. Ich habe kein Interesse daran, dich nackt zu sehen, geschweige denn dir irgendwelche Körperregionen zu waschen.“

Jim schnaubte leise. „Ich gebe mir alle Mühe, allein zurecht zu kommen. Versprochen.“ Es fiel ihm jedoch reichlich schwer, sich nicht sofort bildhaft vorzustellen, wie Leonard ihn unter der Dusche befriedigte …

Das Zischen des Öls im Wok holte Jim jäh aus seinen unkeuschen Gedanken. Und während Leonard das Bami Goreng zubereitete, machte Jim sich daran den Tisch zu decken.
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